Anno 1984: Warum Peru für Rucksackreisende mehr als Kultur bietet [Vintage]

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white and brown boat on blue sea under blue sky during daytime

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Tagebuch Südamerika: Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Perú, Bolivien

7. Februar bis 27. April 1984

Anmerkung: Der Text meines Tagebuches von 1984 wurde nahezu unverändert übernommen. Die Rechtschreibung wurde angepasst und auf die Umrechnung in DM (Deutsche Mark, die Älteren werden sich noch erinnern) verzichtet. Damals gültige lokale Währungen wurden belassen. Während ich Venezuela und Kolumbien ganz allein bereiste, traf ich mich in Ecuador verabredungsgemäß mit einem deutschen Ruder-Freund und wir setzen die Reise in Ecuador und Perú gemeinsam fort.

Informationen aus dem Internet gab es damals natürlich noch nicht, da es gar kein Internet gab – es war also eine rein analoge Reise. Demzufolge war an Verbindungen zu Freunden oder zur Familie über What’s App oder dergleichen gar nicht zu denken. Die zuverlässigste Verbindung waren postlagernde Briefe (wer kennt das noch?) oder in Notfällen extrem teure Telefonate, die mit langen Wartezeiten verbunden waren, bis die jeweiligen Verbindungen hergestellt waren. D.h. es war eine ganz andere Zeit und ich war drei Monate auf mich und meine regionale Umwelt gestellt!

Und ein weiterer großer Unterschied zum heutigen, „digitalen“ Reisezeitalter ist, dass weder Hotels noch Zug- oder Busverbindungen im Internet gecheckt und gebucht werden konnten, sondern alles musste mühsam vor Ort recherchiert werden bzw. durch Informationsaustausch mit anderen Reisender erfahren werden. Das kostete viel Zeit, kommt aber der persönlichen Kommunikation sehr zugute. Anstatt ständig ins Handy zu glotzen, sprach man einfach mit seiner Nebensitzern – altmodisch, aber gut!

Teil 4: Viel Staub und viel Kultur in Perú

Unsere letzte Nacht in Ecuador verbringen wir in MACARÁ, einem fürchterlichen Grenzkaff mit nur zwei Hotels, unbefestigten, staubigen Straßen und ein paar Geschäften. Und am nächsten Tag soll es über die Grenze nach Perú gehen – glücklicherweise ahnen wir noch gar nicht, was uns dort erwartet:

PERÚ

Flagge von Perú

Montag, 26.03. Etwas schlapp stehen wir morgens nach durchzechter Nacht auf und selbst um 9 Uhr kriegen wir in einem Lokal, das groß Reklame für Früh­stück macht, nichts zu essen, obwohl es offen hat. So nehmen wir woanders ein „ekuadorianisches Frühstück“ zu uns: Fleisch und Reis. Dann schauen wir doch noch nach unseren Freunden vom Vorabend, mit denen wir uns eigentlich zum Baden verabredet hatten. Aber keiner ist zu finden. So packen wir unsere Sachen und wollen gehen. Dann treffen wir doch noch einen, melden uns aber ab, da es schon 11 Uhr ist. Das ist auch gut so, denn uns erwartet heute noch Einiges!!

Internationale Brücke am Grenzübergang Ecuador-Perú bei Macará [Bild: REM]

Per Taxi werden wir zur 3 km entfernten Internationalen Brücke gefahren. Dort kriegen wir unseren Ausreisestempel von Ecuador und laufen dann über die Brücke. Von einem Mann, den wir trotz seiner Bekleidung, die lediglich aus einer Badehose besteht, richtigerweise als Grenzbeamten identifizieren, erhalten wir den Einreisestempel und 45 Tage Aufenthalts­geneh­migung für Peru. Das reicht, da wir nur noch genau einen Monat haben. Gleich gegenüber folgt dann die erste Kontrolle: Name, Pass-Nr., Zielort, Beruf und Aufenthalts­dauer werden genau in eine Kladde eingetragen. Das gleiche wird heute noch sechs Mal geschehen!

Sechs Stunden auf einem LKW durch die heiße Wüste bis nach Sullana

Von hier aus müssen wir nach Sullana weiter, der nächsten größeren Stadt in über 200 km Entfernung. Jedoch fährt dahin überhaupt kein Bus wie wir schnell feststellen, sondern lediglich ein LKW! Nun ja! Auch unsere Erwartung, dass wir vorne im Fahrerhaus des LKW sitzen, stellt sich schnell als trüge­risch heraus. Also hinten ‚rauf, wo’s schön nach Fisch und Sch… stinkt. Hier haben wir also jetzt eine sechs­stündige Fahrt in praller Sonne und je Person für 10.000 Soles (5 US-$) vor uns!! Einzige Sitzgelegenheit ist ein 15 cm breiter Balken, der quer auf der Bordwand des LKW aufgelegt ist, und auf den man sogar noch eine dreckige Wolldecke legen kann. Dort sitzend kann man gerade oben rausgucken. Unten liegen dreckige Fischkisten, Säcke mit Yuka u.a., ein Schaf und viel Dreck. Außer uns sind noch ca. 10 andere Leute an Bord und so geht’s dann los. Wir sitzen in der ersten Reihe und können uns mit beiden Händen krampfartig am Verschlag fest­halten, aber loslassen ist gleichbedeutend mit Absturz in den Dreck, denn die Straße ist kaum als solche zu bezeichnen, sondern besteht aus einer Aneinanderreihung von Furchen, Löchern und Schlimmerem. Und die Sonne strahlt wie verrückt. Zwar ist es vom Fahrtwind her kühl, aber die Strahlung wird dadurch natürlich nicht gelindert. So werde ich in einer ½ Stunde einen Sonnenstich haben. Also ziehe ich mein Hemd aus und wickle es um den Kopf, denn einen Hut habe ich nicht dabei. Dafür creme ich mich ständig mit Sonnenschutz­faktor 8 ein [war damals der max. verfügbare LSF]! Als das auch nicht mehr weiterhilft, leiht mir dankenswerterweise ein neben mir sitzender peruanischer Soldat sein Militärkäppi, so dass eine ordentliche Kopfbedeckung und ein Hemd mich vor der starken Sonnenstrahlung schützen!

 

Auf diesem LKW reisen wir sechs Stunden durch Nord-Peru – ganz rechts mein Mitreisender Jürgen [Bild: REM]

Nachdem wir zehn Minuten unterwegs sind, kommen wir an die erste Kontrollstelle. Von oben ganz runterklettern, in Polizeistation rein, alles eintragen (s.o.) wieder raufklettern und weiter. Das folgt noch fünfmal! Dazwischen die fürchterlich wackelige Fahrerei, der Staub, Wettfahren mit anderen LKWs, matschige Stellen, wo wir fast steckenbleiben. Ständig müssen wir Flüsse durchqueren, aber die Brücken sind bis auf eine einzige Aus­­nahme alle wieder zusammengebrochen, und es geht so per LKW mit Karacho durch die Furt. Insgesamt vielleicht durch 30 oder 40 Flüsse bzw. Wadis! Ja, dieser Teil Perus ist schon ein touris­tisches Traum­land. Neben dem Ge­stank, dem Staub und dem Sonnenbrand macht sich langsam auch der Hintern bemerkbar – da sind Rollsitze im Ruderboot doch Gold dagegen.

Durchquerung einer der zahlreichen Flüsse [Bild: REM]

So kommen wir langsam, aber stetig voran. Die Berge haben wir längst verlassen und kommen in immer wüstenartigere Landschaft, wo bald kaum noch etwas wächst, aber dafür sticht die Sonne! Nach 3½ Stunden machen wir eine Essenspause, aber wir haben keinen Appetit, sondern nur Durst! Die Preise sind hier erheblich höher als in Ecuador (Sprudel das Vierfache!). Mal sehen, wie sich Preise und Wechselkurs noch entwickeln werden.

An diesem Verkaufsstand machen wir eine Pause [Bild: REM]

Viele Furten werden zugleich als Badestellen genutzt [Bild: REM]

Ein junger Mitreisender auf unserem LKW [Bild: REM]

Nach 5½ Stunden kommen wir dann völlig fertig in SULLANA an. Ein dreckiger Wüstenort, aber mit 150.000 Einwohnern und tierisch heiß, aber nicht zu feucht. Zunächst kommen wir durch die „Marktstraße“, einer Aneinanderreihung hunderter dreckig­ster Buden und Stände mit geringem Angebot und widerlichem Aussehen. Hier ist es offensichtlich doch sehr viel ärmer als in den bisher bereisten Ländern. Der LKW-Fahrer lädt uns dann freund­licherweise direkt vor einer Busstation ab, wo 1½ Stunden später ein Bus nach Trujillo abginge. Aber leider klappt es nicht, denn alle Busse für heute sind schon ausgebucht! Und wir würden schon gerne gleich aus diesem Kaff wegkommen. Genauso geht es uns bei einigen anderen Bus-Gesellschaften, so dass wir also doch hier­bleiben müssen – und so ein Dreck und Staub hier!

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Also müssen wir ein Hotel suchen, aber es ist nichts zu finden, denn es gibt nur vier Stück: Eines 15 Gehminuten vom Zentrum ent­fernt, eines ist voll, eines nimmt 17 US-$ für ein Doppelzimmer und vor dem letzten wird vom SAH (South American Handbook) eindringlich gewarnt. Aber nur genau dieses bleibt uns übrig. Es ist zwar dreckig, aber freundlich. So bleiben wir dort für 17.600 Soles (9 US-$) das Doppelzimmer. Ein Vielfaches von Ecuador! Jürgen schläft gleich völlig fertig ein, während ich stundenlang eiskaltes Wasser in der Dusche über mich laufen lasse und anschließend erfolglos nach weiteren Busgesellschaften suche. Denn der früheste Bus geht erst Morgen um 20 Uhr! Dann stillen wir unseren Hunger (sehr wenig) und Durst (sehr, sehr viel) mit Empanadas und Maracujá-Saft, um dann früh schlafen zu gehen. Wir sind so ausgetrocknet, dass selbst der Genuss von 3 ltr. Maracujá-Saft (pro Person!) nicht dazu führt, dass wir pinkeln müssen!

Dienstag, 27.03. Heute verbringen wir einen schlappen Tag in Sullana ausschließlich damit, auf den Bus um 20 Uhr zu warten. So lange wie möglich schlafen wir in unserem Loch und nach einem kleinen Frühstück und viel Maracujá-Saft mit kleinge­hacktem Eis (jeder Arzt würde einen Anfall bekommen) suchen wir eine Wechselbude, da unser peruanisches Geld schon wieder alle ist. In ziemlicher Hitze und fast schattenlos (Äquator-Nähe und fast Mittag) suchen wir ewig nach einem Casa de Cambio, da die Banken natürlich wieder keine Reiseschecks wechseln wollen. Schließlich nach 10 x Fragen finden wir eines ganz versteckt im 3. Stock eines obskuren Hauses, wo wir unser Geld zu einem günstigen Kurs gewechselt bekommen.

Plaza de Armas von Sullana [Bild: REM]

Anschließend trinken wir etwas, bringen unsere Rucksäcke zum Busbahnhof, weil wir das Hotel räumen müssen. Schreiben, trinken… Es ist einfach nichts los. Als es sich später bewölkt und nicht mehr ganz so heiß ist, machen wir einen Rundgang durch den Ort: Der Zustand der Straßen und Häuser etwas außerhalb des Zentrums ist wirklich katastrophal und selbst mit kurdischen Verhältnissen nicht zu vergleichen. Straßen sind bis zu 1½ m tief weggespült, während die Deckel der ehemaligen Kanalisation noch ebenso weit herausragen. Das Abwasser läuft aus den Häusern unter den Verkaufsständen hindurch auf die Straße. Über den Fluss führt keine Brücke mehr, sondern so wie außerhalb der Stadt muss man hindurch ­fahren bzw. als Fußgänger durchwaten. Das Wasser ist dunkel­schwarz und stinkt erbärmlich. Die aus Bambus und Lehm gebauten Häuser sind völlig kaputt, aber noch bewohnt. Es ist wirklich fürchterlich. Als ich das alles sehe, kommt mir der Gedanke, dass die Leistung der Spanier doch ganz besonders beeindruckend ist: Das ehedem funktionierende Staatswesen der Inkas haben sie zerstört, um ein anderes zu errichten, das nach 450 Jahren Entwicklung dem Besucher das obige Bild bietet. Wirklich bravourös. Ohne eine Lanze für die Engländer/Amerikaner brechen zu wollen, muss man doch ganz objektiv feststellen, dass es in deren Gebieten (heute USA) etwas anders – wenn auch nicht nur rosig – aussieht. Genug davon.

Eine der wenigen intakten Straßen in Sullana [Bild: REM]

Mit nur wenig Verspätung startet dann unser Bus in Richtung Trujillo. Dabei handelt es sich nicht um einen umgebauten LKW à la Ecuador, sondern um einen modernen Scania-Bus mit brasilianischem Aufbau, der allen Luxus eines modernen Busses enthält: Air Condition, Luftfederung, getönte Scheiben, Super-Sessel, abgetrennte Fahrerkabine etc. Dafür ist er viel zu flach, kommt auf den unmöglichen Straßen kaum zurecht und muss sogar einmal wenden und eine andere Route suchen. Der Preis ist natürlich auch viel höher als in Ecuador und beträgt für die 580 km 14.000 Soles à Person. Bis auf einen Reifen­wechsel und dessen Reparatur (nachts um ½ 3 Uhr an einer Werkstatt!) kommen wir dann recht gut schlafend vorwärts.

In Trujillo, der zweitgrößten Stadt Perus

Mittwoch, 28.03. Anstatt wie angekündigt, um 5 Uhr kommen wir erst um 7 Uhr in TRUJILLO an, was uns aber natürlich ganz recht ist. Trotzdem ist auf den Straßen über­haupt noch nichts los: Sehr wenige Leute, keine Autos, alle Läden geschlossen und natürlich gibt es auch noch nirgends etwas zu essen oder zu trinken. Trujillo ist die zweitgrößte Stadt Perus (800.000 Ein­wohner) und liegt im trocken-heißen Wüstengebiet der Pazifikküste. Nachdem wir uns einigermaßen orientiert haben, finden wir auch einige Hotels. Hier zeigt sich einmal mehr der Nachteil der Klasseneinteilung der Hotels des SAH: Klasse F sind alle Hotels unter 6 US-$ je Nacht, doch gerade unterhalb dieser Preisklasse „scheiden sich die Geister“. Hotel „Yogi“ verlangt 38.000 Sole für ein Doppelzimmer (sehr gut und sauber) und Hotel „Lima“ 6.000 pro Person und Nacht. Bei diesem Hotel deckt sich jedoch nur der Preis mit meinen Vorstellungen, im Gegensatz zur Sauberkeit und der zur Verfügung stehenden Wassermenge. Aber eines kann man nur haben. Außerdem ist das Hotel morgens um 8 Uhr noch belegt, aber wir können unsere Rucksäcke dort lassen und sollen um 10 Uhr wieder­kommen. (Wenn der unsere Rucksäcke nicht wieder ‚rausrückt und sich dumm stellt, sind wir sie los.)

Wir gehen erst einmal frühstücken: Kaffee und Brötchen mit kaltem Braten – das Essen scheint hier besser zu sein als bisher. Anschließend gehen wir ins Touristen­büro, wo wir die Italienerin Elena kennenlernen, die sich uns während unserer „Trujillaner Zeit“ anschließt – sehr nett. Während Temperatur und Sonne steigen und die Schatten kleiner werden, gehen wir zurück zu unserem Drecks-Hotel und kriegen ein Zimmer. Jetzt können wir uns wenigstens waschen und die Zähne putzen. Dabei entdecke ich ein Schild „Wäschewaschen ver­boten“ – so ein Mist, denn meine letzten Socken trage ich schon zu lange! Aber auch das werden wir lösen.

Die historische Adobestadt Chan Chan

Dann machen wir uns auf den Weg nach CHAN CHAN. Dieses ist die Ruine der größten Adobestadt (Lehmstadt) der Welt, nämlich der Hauptstadt des ehemaligen Chimú-Reiches. Sie wurde am Ende des 15. Jahr­hunderts vor den Inkas erbaut und ist seitdem eine Ruine, die als Steinbruch und als Betätigungsfeld für archäologische Amateure missbraucht wurde. Die ehemals 250.000 Einwohner zählende Stadt besteht insbesondere aus den Ruinen von neun Palästen, in denen die Noblen, Priester etc. wohnten, arbeite­ten und zelebrierten. Per Stadtbus fahren wir 6 km hinaus in die Wüste und steigen bei sengender Sonne aus. Durch eine Gegend, vor der laut Reiseführer wegen häufiger Überfälle gewarnt wird, müssen wir noch 2 km Wüstenpiste bis zum Tschudi-Palast, dem besterhaltenen und renovierten Gebäude, laufen. Allerdings hält ziemlich bald ein mit einem peruanischen Paar besetztes Taxi und nimmt uns mit. Das ist doch wirklich super!

Die Außenmauer bildet eine hohe Lehmwand (fast wie eine Kasbah in Marokko), deren Tor wir nach Zahlung des Eintritts (1000 Sole für Studenten) passieren dürfen. Sehr beeindruckend ist der zen­trale Saal, der religiösen Zeremonien diente, eine Fläche von ca. 50 x 50 m einnimmt und im oberen Teil durch waagerechte Lehm-Verzierungen geschmückt ist sowie unten rundherum durch meereswellen-symbolisierende Zeichen gekennzeichnet wird. Insgesamt sind zwar nur acht der mehrere hundert zählenden Wellen wirklich alt, aber dennoch ist die Wirkung beeindruckend. Der immer noch in Untersuchung und Renovierung befindliche Palast enthält viele weitere Räumlichkeiten, wie Andachtsräume, Konferenzräume, Ruheräume etc., die mit vielen Symbolen, bei denen der Pelikan eine große Rolle spielt, ver­sehen sind.

Außenmauer des Tschudi-Palastes in der Adobestadt Chan Chan [Bild: REM]

500 Jahre alte Lehm-Verzierungen, die Meereswellen symbolisieren [Bild: Rem]

Nach zwei Stunden Führung in praller Sonne verlassen wir die Ruinen und unsere Führerin bringt uns zu sich nach Hause, wo sie uns diverse Stoffdrucke zeigt, auf denen Motive der Chimús und anderer, älterer Kulturen aufgedruckt sind. Ich erstehe schließlich einen der Mochica-Kultur (100 v. Chr. – 700 n. Chr.), der eine Szene zeigt, bei der ein ver­storbener Mann bereits von den Würmern angefressen wird, während ein durch Drogen in den Rauschzustand versetzter Zauberer noch für ihn betet und dabei allerhand wirre Dinge sieht. Übrigens soll sich das Original in einem Münchner Museum befinden.

Anschließend fahren wir per Bus 6 km weiter nach HUANCHACO, das direkt am Pazifik liegt. Hier essen wir zu fünft (die beiden Peruaner sind auch mit dabei) das berühmte Cebiche-Fischgericht. Ich bin nicht wenig erstaunt, als es sich als hyperpikanter, kalter Fisch-Salat herausstellt. Anschließend bestaunen wir die berühmten „Caballito de totora“ (Schilf-Pferdchen). Dieses sind aus Schilf hergestellte Bötchen, mit denen die Fischer Huan­chacos heute noch genauso ausfahren, wie zu den Zeiten der Chimús und zuvor (vor 2000 Jahren).

Caballito de totora“ in Huanchaco [Bild: REM]

Alleine ist man als Gringo niemals in Perú [Bild: REM]

Wieder zurück in Trujillo trennen wir uns und verabreden uns mit Elena für 21 Uhr am Plaza de Armas wieder. Nachdem ich geduscht (natürlich fällt das Wasser aus, als ich voll eingeseift bin!) und geschrieben habe, realisieren wir unser Rendezvous. Wir landen dann in einem der zahlreichen China-Restaurants, die ausschließ­lich aus „Chambres séparées“ bestehen: Alle Tische sind durch hohe Trennwände voneinander abgetrennt und gegenüber dem Gang durch einen Vorhang, den der Ober jedes Mal dezent schließt. Aber es sind Speiselokale. Wir essen trotz­dem gut, gehen dann aber wegen allgemeiner Schlappheit (Nachtfahrt, Sonne) nach Hause, wo der arme Jürgen zunächst sehr unter Magen-Darm-Schwierigkeiten leidet.

Was wollen die peruanischen Soldaten an der Sonnenpyramide von uns?

Donnerstag, 29.03. Da morgens ja sowieso nie etwas los ist, verabreden wir uns erst für 9 Uhr und fahren dann mit Elena zusammen zu den „Huacas del Sol y de la Luna“ per Bus heraus. Diese Ruine der ehemals 80 m hohen Pyramide der Mochica Kultur liegt wieder am Rande der Trujillo-Oase in der Wüste. Glücklicherweise wird uns der ¾-stündige Marsch sehr reduziert, weil wir auf der Ladefläche eines Pick-ups mitgenommen werden. Am Fuß der bereits stark zerfallenen, aber immer noch recht hohen Sonnenpyramide (die Mond­pyramide in etwas Entfernung ist kleiner) übt eine große Truppe peruanischer Soldaten im Sportdress. Die aus Adobe-Ziegeln errichtete Pyramide ist zwar schon sehr stark verwaschen (Regen, Wit­terung), aber dennoch sehr eindrucksvoll. Mit etwas schlechtem Gewissen besteigen wir sie dann und haben von oben einen herrlichen Ausblick auf Oase, Wüste, Berge und die Mond­pyramide. Wir sind gerade 5 Minuten oben und haben einen kühlen, windigen Platz ge­fun­den, als eine Horde von sechs bis acht Jungen hinterherklettert und uns „uralte“ indi­anische Fundstücke (Vasen, Figuren, Ketten, Scherben) anbietet, die sie heute Morgen erst gefunden hätten. Die Preise sind anfangs unver­schämt, aber auf die Hälfte herunter­ge­handelt doch akzeptabel, so dass ich schließlich eine schöne Tonfigur erstehe, damit die Jungs wenigstens etwas Geld einnehmen. Schließlich klagt mir einer sein Leid: Vor drei Tagen habe ihm ein Ameri­kaner einen Scheck über 20 Dollar gegeben, den er bei einer Bank aber angeblich nur mit einem amerikanischen Pass einlösen könne. Ob wir ihm helfen könnten? Der Junge zeigt uns dann den Scheck: Es ist ein guter, gegengezeichneter American Express Reisescheck, mit dem er ohne Bankverbindung natürlich nichts machen kann. So raten wir ihm, zu einem Freund zu gehen, der ein Geschäft hat und es mit dessen Hilfe zu versuchen.

Hinter uns die Reste der berühmten Sonnenpyramide bei Trujillo [Bild: REM]

Beim Handel um eine Tonfigur auf der Sonnenpyramide [Bild: REM]

Nach dem Abstieg kommen wir noch in eine sehr merkwürdige Situation. Mit der blon­den Elena zusammen gehen wir – man­gels einer anderen Möglichkeit – quer durch die locker dastehenden und daliegenden Soldaten, die immer weiter auf uns zukommen. Ein sich langsam bildender, spießrutenähnlicher Gang führt schließlich zu einer regelrechten Um­klammerung und wir sind „gefangen“. Aber glücklicherweise sind alle sehr nett und einige wenige versuchen sogar ihre Englischkenntnisse. Als einer fragt, ob wir ihren Leutnant kennenlernen möchten, sage ich schnell, dass uns das sehr interessiert. So werden wir, bzw. hauptsächlich Elena, von ihm interviewt und einer der Soldaten muss uns sogar ein Lied vorsingen! Wo ihr Hotel ist, verrät Elena aber nicht, und dann sagen wir, dass wir weitermüssten.

Wieder in der Stadt trinke ich meine erste „chicha“, ein fast schwarzes Getränk aus fermentiertem Mais, das von den Inkas stammt – schmeckt sehr gut. Anschließend buchen wir unsere Busse – Elena nach Cajamarca, wir nach Lima – und bringen unser Gepäck an die Busstation.

Erotische Töpferkunst im Casinetti-Museum

Unser nächstes Ziel ist das Casinetti-Museum. Dabei handelt es sich um das private Museum eines Tankstellenbesitzers (!!), der Unmengen von prä-hispanischen Keramiken gesammelt hat. Er erklärt uns persönlich viele Gefäße seiner riesigen Sammlung, die im Keller unter der Tankstelle untergebracht ist. Besonders auffällig und bedeutend sind die Darstellungen von Chinesen mit Bärten (Indios haben kaum einen Bart), Schwarzhäutigen und anderen Kuriositäten, deren Bekanntsein zu dieser Zeit bisher nicht erklärt werden kann! Auch sehen wir einen Embryo ohne Hals und mit Vorliebe zeigt er uns die in einem separaten Schrank aufbewahrten erotischen Darstellungen: diverse Stellungen, Onanie, Homosexualität – es ist eben nichts neu auf dieser Welt!

Abends gehen wir dann essen und Elena und ich kriegen je zwei große Stück gegrilltes Fleisch und dazu Salat – sehr gut. Währenddessen hat Jürgen allerdings mal wieder Magen­­-Darm-Probleme und der Ärmste muss bei einer Cola darben! Anschließend gehen wir zum Plaza de Armas (Hauptplatz, wie in allen peruanischen Städten), wo ich einen Jungen bei den Englisch-­Hausaufgaben unterstütze. Schließlich gehen wir um kurz vor 21 Uhr zum Bus, wo wir mit einem Riesengeschrei empfangen werden, denn der Bus führe nicht – wie angekündigt – um 21:30 Uhr, sondern bereits um 21 Uhr. So haben alle auf uns warten müssen. Nach einer schnellen Verabschiedung von Elena geht die Post dann auch schon ab.

Freitag, 30.03. Nach 8½ Stunden und 561 km Fahrt im brasi­lianischen Marco­Polo-Superbus kommen wir um 5 Uhr morgens in LIMA an. Hier ist natürlich „tote Hose“ und wir sitzen ohne Cafetería oder dergleichen am kleinen Busbahnhof fest. Glücklicherweise finde ich dann aber einen Straßenhändler, der mir wenigstens einen Orangensaft macht. Nach dem Gebrauch des hier ansonsten nicht üblichen türkischen (Steh-)Klos und dem Zähneputzen über der Piss-Rinne (sehr romantisch!) bin ich wieder fit. Dann folgt unser Entscheidungs­findungsprozess, der damit endet, dass wir nicht in Lima bleiben wollen, sondern stattdessen gleich Richtung Süden weiterfahren, um Lima ganz am Ende unserer Reise anzusehen. Durch die sich langsam belebende Stadt gehen wir zur Bus-Ge­sellschaft Tepsa, wo es zunächst heißt, um 8 Uhr führe ein Bus, dann wird es jedoch revidiert und heißt, um 13:30 Uhr und schließlich kriegen wir doch eine Karte für den 9-Uhr-Bus!

Bis dahin gehen wir noch quer durch die Stadt zur Hauptpost, um zu sehen, ob dort etwas postlagernd (wir befinden uns noch in analogen Zeiten!) für uns liegt. Dem ist aber leider nicht so, so dass wir nach einem schnellen Frühstück zu Tepsa zurück­kehren und dann gleich zur nächsten Busfahrt – endlich einmal bei Tage – starten. Es dauert allein fast 1½ Stunden bis wir durch das chaotische Verkehrsgewühl der 5 Mio.-Stadt Lima hindurch sind. Aber dann kommt ziemlich bald wieder die Wüstengegend und Stunde um Stunde fahren wir weiter in Richtung Süden.

Flug über die Linien von Nazca, die bereits Generationen von Forschern beschäftigen 

Die Wüstenlandschaft wechselt sich ab und zu mit bewässerten und bebauten Flächen ab, die meistens im Umkreis der Städte liegen. Zum Beispiel die Weinbaugebiete bei Ica und Pisco. Ansonsten gibt es nur Sand, Steine, leichte Hügel und Sonne. Nach einiger Zeit führt die Straße dann direkt ans Meer, so dass man fast das Gefühl hat, an einem riesigen Strand entlangzufahren. Zur Mittagspause esse ich Kuhfüße – sehr delikat. Nach 10 Stunden Fahrt kommen wir dann um 16 Uhr endlich in NAZCA an.

Am Busbahnhof werden wir gleich von einem Typen abgefangen, der uns zu einem Hotel führen will. Das ist mir ja nicht so lieb, aber als er erzählt, dass es nur 4000 Soles kostet, und es im SAH außerdem besonders erwähnt wird, fahren wir doch mit ihm ins nahe Zen­trum. Das Hotel ist sehr ordentlich und nett, und es sind noch einige andere Gringos da. Dort kaufen wir auch noch je ein Ticket für 20 US-$ für einen Rundflug über die berühm­ten Linien von Nazca. Dabei handelt es sich um prä-kolumbianische Zeichnungen, die die Menschen der Nazca­-Kultur (bis ca. 900 n.Chr.) im Wüstenboden geschaffen haben. Die riesigen Zeichnungen, die bis zu 50 x 50 m groß sind, können wegen der Dimensionen nur vom Flugzeug aus erkannt werden und geben der Wissenschaft noch heute große Rätsel auf.

Um die Lösung dieser Rätsel bemüht sich die hier seit 45 Jahren lebende Deutsche Maria Reiche, die bereits über 80 Jahre alt ist und noch immer daran arbeitet. Sie gibt bei Bedarf abends eine Konferenz im Hotel Turista, wo sie auch wohnt. Dafür bedarf es mindestens 12 Leute, denen sie dann entsprechende Fragen beantwortet. Ein Schweizer ist gerade dabei, die notwendige Anzahl von Personen zusammenzubekommen, und wir melden uns auch an. Die Zeit bis dahin verbringen wir damit, unsere Wäsche zu waschen, was extrem dringend ist (Handpumpe!).

Um 19 Uhr treffen sich alle im Foyer des Hotels, wo es zunächst heißt, die Konferenz falle aus, da „Señora Maria“ sich nicht wohl fühle. Dann klappt es aber irgendwie doch. Wir stehen alle vor ihrem kleinen Appartement und die völlig gebrechliche, alte Dame schlurft langsam zu einem Stuhl, auf dem sie sich mühsam niederlässt. Mit ganz leiser, kaum verständlicher Stimme und ständig zitternd beantwortet sie dann auf Englisch diverse Fragen und am Ende kann man noch ein kleines Buch von ihr kaufen, das sie über ihre Forschungen veröffentlicht hat. Das Interessante an der Konferenz ist eigentlich eher, die alte Dame kennenzulernen, die 45 Jahre in der Wüste verbracht hat, um Zeichnungen zu erforschen, als der eigentliche Inhalt ihrer Aussagen.

Samstag, 31. 03. Morgens werden wir pünktlich um 8 Uhr am Hotel abgeholt und zum Flughafen gebracht. Wir steigen in eine 24 Jahre alte Maschine, wo ich in der Mitte zum Sitzen komme – was sich zum Fotografieren später doch als Vorteil herausstellt – und die achtsitzige Maschine wird mit neun Leuten besetzt. Nachdem der Pilot – auf einer Pobacke und mit einem Arm aus dem Fenster – auch sitzt, springt die Maschine mit einigen Schwierigkeiten doch an, und wir starten auf der Schot­terpiste zum Flug über die Nazca-Linien. Man kann die einzelnen Figuren (Vögel, Spinne, Affe etc.), die laut Maria Reiche einen überdimensionalen, astronomischen Kalender darstellen, sehr gut erkennen und auch fotografieren. Neben den Figuren ist auch eine große Anzahl von riesigen Dreiecken und unendlich viele, schnurgerade Linien zu erkennen, deren Sinn und Zweck noch weniger bekannt sind und Erich von Däniken in den 1960er Jahren zu seinen merk­wür­digen Theorien inspiriert hatte. Nach nur rund 10 Minuten endet der äußerst interessante Flug.

Mit dieser 24 Jahre alten, fliegenden Büchse erkunden wir die Linien von Nazca [Bild: REM]

Mit etwas Phantasie sieht man hier einen Vogel [Bild: REM]

Hier erkennen einige „Wissenschaftler“ prä-inkaische Landebahnen von Astronauten [Bild: REM]

Ein 1000 Jahre alter Friedhof mit guterhaltenen Mumien

Wieder im Hotel entscheiden wir uns zu einer weiteren Exkursion und sind schon eine Stunde später in einem 19 Jahre alten Opel mit sieben Personen zu einem Friedhof aus der Prä-Inka-Zeit unter­wegs. Dafür geht es 30 km auf der Panamericana durch die Wüste (dabei eine Reparatur) und dann weitere 5 km auf wilden, kaum als solche erkennbaren Wegen, bis wir an diesen Friedhof kommen. Er liegt völlig frei und unbeaufsichtigt in der Wüste, so dass hier alle Fremdenführer nach Herzenslust herumbuddeln können, ohne von Forschern belästigt zu werden. Dementsprechend sieht es auch aus: Überall liegen Schädel, Knochen und Teile davon herum. Dazwischen Scherben von Tonkrügen und Überreste der über 1000 Jahre alten Kleidung. Am erstaunlichsten, abschreckendsten und interes­santes­ten sind aber die hier und dort aufgestellten Gruppen von drei oder vier Mumien, an denen noch Haut, Fingernägel, Haare etc. zu erkennen sind. Alles das konnte hier so gut überdauern, weil die Nazca-Wüste zu den trockensten Gebieten der Erde gehört und deswegen kaum etwas altert und verrottet. Da die Sonneneinstrahlung der Verwesung aber doch Vorschub leistet, gra­ben die Fremdenführer ab und zu frische Mumien aus und ersetzen damit die „alten“, wie er uns stolz erklärt. An einer Gruppe reklamieren wir einen Erwachsenen-Schädel auf einer Kinder-Mumie und der Führer nimmt beherzt den Kopf ab, sucht einen kleineren und erklärt, sie hätten halt keinen passenden gefunden. Sehr makaber!

Auf einem prä-inkaischen Friedhof bei Nazca [Bild: REM]

Die Führer kreieren hier „ihre“ Mumien [Bild: REM]

In der Stadt zurück, essen wir etwas zu Mittag (ich wieder „cebiche“) und machen eine kleine Mittagstunde. Anschließend ist Jürgen zu schlapp, um noch etwas zu unternehmen, während ich mich zu Fuß auf die Socken mache, um weitere Ruinen zu besich­tigen. Durch die Stadt komme ich zum Fluss, in dem alle beim Baden und Waschen sind. Dann komme ich durch „weniger wohlhabende“ Gebiete der Stadt und schließlich zu den Ruinen, von denen aber fast nichts mehr steht. Mein nächstes Ziel sind die acueductos, noch heute zur Bewässerung benutzte Brunnen aus der Inkazeit. Sie sollen irgendwo am Beginn der unasphaltierten Straße nach Cuzco liegen. In der Hoffnung, dass mich einer mitnimmt, marschiere ich dann los. Nach zigmaligem Fragen und 5 km Marsch – zunächst auf stau­biger Straße und dann durch riesige Baumwollfelder – finde ich schließlich meine acueductos, die aber nichts weiter sind als tiefe Löcher mit Wasser. Allerdings schwärmt mir ein Bauer vor, sie seien hervorragend und brächten länger Wasser als der Fluss. Nachdem die Sonne schon untergegangen ist und ich zurückgehe, finde ich glücklicherweise einen LKW, auf dessen Ladefläche ich mitfahren kann. Abends gehen wir schon früh schlafen, da wir schon um ½ 3 Uhr morgens wieder aufstehen müssen.

Sonntag, 01.04.  Morgens werden wir tatsächlich pünktlich ge­weckt und sind um 3 Uhr an der Busstation von Nazca. Hier hat eine Frau sogar einen Tisch aufgebaut, und es gibt warmen Kaffee und Käsebrote. Das hätte ich hier nie erwartet! Unser Bus hat zum Glück eine Stunde Verspätung, so dass wir um ½ 5 Uhr in Richtung Süden losfahren und zunächst weiterschlafen, denn wir kriegen tatsächlich Sitzplätze. Um 8 Uhr gibt es an einer Station mitten in der Wüste Frühstück, wobei ich erst­malig sehe, wie die Milch für einen Café con leche zustande kommt: Kondensmilch mit heißem Wasser! Und schmeckt trotzdem!

Die Weiterfahrt ist sehr schön und interessant: Die Wüste ist hier recht gebirgig, und es geht oft auf und ab. Teilweise führt die Straße in den Felsen direkt am Meer entlang und teil­weise durch sandige, heiße Wüste. Am schönsten sind aber immer die Flussoasen, die hier direkt vor den Mündungen der Flüsse ins Meer sehr breit und fruchtbar sind. Von oben kommt man an den Rand der Wüste, sieht ausgedehnte grüne Felder, Palmen, Bananenstauden usw. und fährt dann in dieses Paradies hinunter, durchquert es und auf der anderen Seite geht’s wieder bergauf.

Blick auf den Pazifik an der Panamericana südlich von Nazca [Bild: REM]

Eine der zahlreichen Oasen an Flussmündungen in den Pazifik [Bild: REM]

Bekommen uns die gebratenen Meerschweinchen in Arequipa?

Schließlich fahren wir vom Meer weg ins Landesinnere und kommen immer höher in die Berge, die zwar eine schöne rote Farbe haben (wie das Atlas-Gebirge in Marokko), aber keinerlei Vegetation aufweisen. Schließlich kommen wir nach zehn Stunden Fahrt in AREQUIPA an, das auf 2.300 m Höhe liegt. Das Klima ist herrlich – warm und trocken – und wir finden schnell das uns bereits in Nazca empfohlene Hotel Guzman, das in einem schönen alten Kolonial­gebäude mit Innenhof untergebracht ist. Dieses Haus ist – wie die meisten Gebäude hier – aus vulkani­schem, leichtem, weißem Gestein gebaut, das sich offensichtlich einfach bearbeiten lässt. Deshalb wird Arequipa auch die „weiße Stadt“ genannt. Mit dem Deutschen Sönke, den wir im Bus kennengelernt haben, nehmen wir zu dritt ein Zimmer. Der Inhaber des Hotels nimmt uns dann mit zu einer Folklore-Veranstaltung. Dort genießen wir 2½ Stunden lang mehr oder minder gute peruanische Volkstänze, die teil­weise auch recht humoristisch sind.

Folklore-Veranstaltung in einer peruanischen Turnhalle [Bild: REM]

Abends suchen wir uns aus dem SAH dann ein Lokal aus, das für Meerschweinchen (cuy) empfohlen wird und selbst Jürgen mag sich offensichtlich nicht mehr verweigern (wie zuvor in Cuenca). Also suchen wir das Lokal und lassen uns je ein ½ Schweinchen servieren. Es wird längs durchgeschnitten und ist ziemlich flach. Einen etwas merk­würdigen Eindruck auf uns machen allerdings die nicht abgetrennten kleinen Zehen bzw. Krallen der Füße und die zwei langen Schneidezähne, die vorne herausragen. Der Ge­schmack ist nicht überwältigend, aber auch nicht schlecht – so haben wir‘s wenigstens probiert. [Leider war es damals noch nicht üblich, ständig sein Essen zu fotografieren. Deshalb habe ich kein Bild davon.] Anschließend finden wir mit viel Mühe noch ein Lokal, wo es Pisco Sour gibt. Dieses ist eine peruanische Spezialität, die aus Weintrauben, gebranntem Schnaps (Pisco) mit Eierschnee und Zitronensaft hergestellt wird. Nicht schlecht – schmeckt nach mehr!

Montag, 02.04.  Frühstück gibt es im recht schönen, alten Innenhof unseres Hotels in der prallen Sonne. Diese tut mir ganz gut, da ich ziemlich erkältet bin und trotz der angenehmen Wärme einen Pullover trage. Anschließend gehen wir ins nahe Zentrum, um das Tou­risten­büro zu suchen. Dabei kommen wir zum herrlichen Plaza de Armas, dessen palmen­ge­säumte Mitte an drei Seiten von zweistöckigen Kolonnaden und an der vierten von der Kathedrale umgeben wird – ein sehr schöner Platz! Uns gelingt es dann, wenigstens eine sehr schlechte Fotokopie eines Stadtplanes von Arequipa zu erhalten.

Plaza de Armas in Arequipa mit zweistöckigen Kolonnaden [Bild: REM]

Die eindrucksvolle Kathedrale von Arequipa [Bild: REM]

Nach dem Besuch des Santa Catalina Klosters essen wir bei Hare Krishna

Als nächstes gehen wir zum Bahnhof, um uns nach einem Zug nach Puno am Titi­caca­see zu erkundigen. Zu unserer Enttäuschung erfahren wir hier, dass wegen eines Eisen­bahnunglückes vor vier Tagen (mit einem Toten) eine Brücke auf der Strecke unbenutzbar ist. An dieser wird tagsüber repariert und deswegen fährt der Vormittagszug nicht, sondern lediglich täglich ein Zug um 21 Uhr. Nicht sehr günstig, denn das bedeutet, dass wir nachts fahren müssen und nichts sehen. Und gerade diese Strecke, die durch die Berge auf über 4.000 müM führt, wäre sicherlich sehr interessant. Also müssen wir doch per Bus fahren! So starten wir eine Umfrageaktion bei vielen Busgesellschaften, die ergibt, dass die Busse auch nur am Spätnachmittag losfahren – also das gleiche. Dann fahren wir eben doch per Zug. Aber der Fahr­­kartenschal­ter macht  erst am Nachmittag  wieder auf. So gehen wir jetzt zum berühmten Santa­ Catalina­­­ Kloster, das mitten in der Stadt liegt. Für den wahn­sinnigen Eintrittspreis von 6.000 Soles erhalten wir Tickets und be­sichtigen das Kloster, das fast eine Stadt in der Stadt bildet. Die alten Teile sind alle für Besucher freigegeben, während in den neueren noch heute 30 Nonnen leben. Es gibt herr­liche Innenhöfe mit Schatten, viele Gemeinschaftsräume, zahl­reiche Unterkünfte der ein­zelnen Nonnen mit Küche, Backofen etc. Die Straßen tragen eigene Namen, wir sehen eine Waschstraße mit großen Amphoren zum Wäschewaschen, eine Kapelle, eine große Kirche etc. etc. Es ist wirklich ein äußerst beindruckendes Bau­werk. Zum Schluss genießen wir noch in der klostereigenen Bäcke­rei hergestellten Kuchen.

Innenhof des Klosters Santa Catalina [Bild: REM]

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Innerhalb des Kloster Sta. Catalina [Bild: REM]

Anschließend an die anstrengende, interessante Besichtigung gehen wir durch die herrlichen Straßen Arequipas, wo es fast ausschließlich alte Häuser gibt, die alle aus hellem Gestein aus dieser Gegend erbaut sind. In das recht leichte Vulkangestein sind viele Muster und Reliefs einge­schlagen und alle Häuser haben schmiedeeiserne Gitter wie in Andalusien. Arequipa gilt nicht zu Unrecht als besterhaltene Stadt Perus nach Cuzco. Etwas enttäuschend wird unser weiter Weg auf die andere Seite des Flusses zum Stadtteil Yuanaco, denn der dortige Aus­sichts­punkt ist nicht berauschend und der Blick auf den nahen 5.800 m hohen Vulkan Misti ist durch Wol­ken verdeckt. Sehr toll ist dann aber die Kirche La Compañia de Jesus mit einem besonders schönen Relief am Eingang. In einem Lokal in der ersten Etage der Kolonaden treffen wir Sönke wieder und auch die beiden Austra­lier, die wir aus Nazca kennen.

Am Abend gehen Sönke und ich unter Jürgens Protest in ein neben dem Hotel ge­legenes indisches, vegetarisches Restaurant, das von Hare-Krishna-Leuten geführt wird. Wir essen hier hervorragend und endlich einmal etwas anders. Dabei lernen wir noch ein paar weitere Leute ken­nen und gehen anschließend (hier gibt es natürlich keinen Alkohol!) in ein Lokal am Plaza de Armas, das von einer 80jährigen Schweizerin geführt wird. Hier genießen wir Pisco Sour und die Oma erzählt ganz interessant aus ihrem langen Leben in Peru.

Dienstag, 03.04. Unser Frühstück genießen wir im ersten Stock der Kolonaden mit tollem Blick auf den Plaza de Armas und den hinter der Kathedrale sichtbaren Vulkan Misti, der heute in der Sonne liegt. Anschließend kriegen wir tatsächlich unsere Zug­fahr­karten am Bahnhof, die wir am vorigen Nachmittag nicht erhalten konnten, da nur Karten für den jeweils laufenden Tag verkauft werden. Die Ab­fahrtszeit ist bereits auch wieder ge­än­dert worden und bleibt hoffentlich bis zum Abend, so dass es um 22 Uhr losgehen soll. Wir kau­fen jetzt Karten 1. Klasse, da an der zweiten eine Riesenschlange steht und nicht sicher ist, ob es überhaupt noch Karten gibt, wenn wir schließlich an der Reihe sein werden. Übrigens soll in dem Zug fürchterlich viel gestohlen werden (laut SAH werden 80% der Grin­gos beklaut) – mal sehen, wie wir das hinkriegen!

Die Kathedrale mit dem schemenhaft erkennbaren Vulkan Misti im Hintergrund [Bild: REM]

Nachdem wir unser Zimmer geräumt haben und die Rucksäcke (hoffentlich) sicher in der „administración“ abgegeben haben, gehen wir ins Zentrum und essen einfach, gut und preiswert zu Mittag. Im Stadtmuseum erklärt uns ein Führer sehr nett diverse Schlachten­bilder, Pickelhauben, Bilder von Bürgermeistern, alte Stadtansichten etc. Auf einer schattigen Parkbank machen wir eine Siesta und genießen dabei den ruhigen Tag ohne „Tou­risten­stress“. In unserem Stammlokal unter den Kolonaden schreibe ich Tagebuch und langsam sammeln sich alle Bekannten an. Schließlich gehen wir am Abend edel und nicht viel teurer essen und trinken sogar erstmalig eine Flasche peruanischen Rotwein (aus Ica), der zwar nicht großartig ist, aber doch genießbar.

Schaffen wir den abendlichen Zugwechsel auf dem Altiplano auf 4.200 Höhenmeter?

Eine Stunde vor der Abfahrt (vielleicht fährt der Zug ja eher?) sind wir dann am Bahnhof und kriegen in dem angegebenen Waggon tatsächlich unsere reservierten Plätze. Der Zug, der seit seiner Ankunft am Morgen hier steht, wird langsam immer voller und um Punkt 22:00 Uhr fährt er vollbesetzt los, nachdem alle Händler und Verkäufer [wichtigster Artikel sind Tabletten gegen Soroche (Höhenkrankheit), die sich oberhalb von 3000 müM durch heftige Übelkeit manifestiert] raus sind. Eine unerwartete Pünktlichkeit! Alle Plätze sind belegt, die Gepäcknetze reichen bei weitem nicht aus, so dass die Gänge auch voller Gepäck liegen. Die Velourssitze sind sehr sauber und ordentlich, aber fürchterlich eng und die Lehne steil. Wenn man auf den kurzen Sitzen weiter nach vorn rutscht, hat man gleich eine Stange am Po, ein Schmerz, den wir noch drei Tage später spüren werden – die Busse sind doch ge­mütlicher. Nachdem wir eine halbe Stunde unterwegs sind (Tempo à la Borkumer Kleinbahn!), halten wir 40 Minuten an, bis ein Gegenzug kommt und dann geht’s schon wieder weiter. So rattern wir langsam Stunde um Stunde dahin. Manchmal nickt man auf den engen Sitzen etwas ein – am besten, indem man den Kopf auf die Tischplatte legt, die immer zwischen den gegen­überliegenden Sitzen befestigt ist. Es gibt sogar eine Heizung im Zug, ohne die es bestimmt zu kalt wäre, aber so ist es sehr heiß. Ab und zu hält der Zug an und es steigen ein paar Indios ein, so dass die Gänge nicht nur mit Gepäck, sondern auch mit zahlreichen stehenden Menschen belegt sind. In der zweiten Klasse wird es noch entsprechend schlimmer sein.

Mittwoch, 04.04.  Als es gegen 18 Uhr kälter wird, wacht langsam alles auf und bei Bedarf kann man über Menschen und Gepäck klet­tern, über die verkotzte Plattform gehen und sich dann im völlig verschissenen Klo die Hände waschen – oder man lässt es halt bleiben. Letzteres bevorzuge ich. Mit einem Tempo, bei dem man ungelogen aussteigen könnte, um nebenherzugehen, fahren wir über die auf über 4.000 müM gelegene Hochebene Altiplano, die einen großen Teil Südperus und Boliviens bildet. Es gibt keine Bäume, nur Felsen und Gras und im Hintergrund stehen schneebedeckte Berge, die sogar weit über 5.000 m hoch sind. Zwischendurch sieht man immer wie­der Indiofrauen in bunter Kleidung, die Herden von Schafen und Lamas hüten.

Um 19 Uhr kommen wir schließlich in völliger Dunkelheit an die Stelle, wo vor ein paar Tagen die Brücke zusammengebrochen ist. Der Zug hält und in einem riesigen Tohuwabohu steigen alle aus. Da stehen wir also bei ziemlicher Kälte in 4.200 m Höhe auf dem Altiplano inmitten hunderter von Menschen (ein Wunder, wie die in nur sieben Waggons passten) und müssen los­mar­schieren. Schnell sind wir an einer kleinen Behelfsbrücke, die neben der nicht viel besseren und zurzeit in Reparatur befindlichen Eisenbahnbrücke liegt und über einen kleinen, stark strömenden Fluss führt. Hier also waren die Waggons entgleist, die wir zuvor total verbeult und demoliert an einem Bahnhof hatten stehen sehen. Auf der anderen Flussseite sind natürlich noch keine Waggons zu sehen, so dass sich langsam eine Art Heerlager von Indios und einigen Gringos ansammelt. Dazwischen immer Indiomuttis, die heißen Kaffee (Tee­kessel in Stroh und Stoff eingewickelt), Brot, Sandwichs, Reis, Fleisch etc. verkaufen. Außerdem babystillende Muttis, schrei­ende Kinder, stoisch ruhige Opas, unter der Höhe leidende Grin­gos, hemmungslos in die Gegend pissende Jungs und viele weitere lohnende Foto­objekte.

Unser Zug hält auf dem Altiplano im Nirgendwo und alle müssen raus [Bild: REM]

Über diese kleine provisorische Brücke müssen alle Reisende zu Fuß auf die andere Seite [Bild: REM]

Im Nu bieten geschäftstüchtige Indios Waren an, die reißenden Absatz finden [Bild: REM]

Nach einer weiteren halben Stunde Wartezeit kommt tatsächlich der Gegenzug und jetzt geht es richtig los. Während die Leute aus diesem Zug aussteigen wollen, um zu un­serem zu gehen, wollen wir einsteigen – ein Riesengeschupse, -geschrei und -gedränge. Schließlich sind wir tatsächlich im Zug, aber an Sitzplätze, geschweige denn unsere Reser­vierungen, ist natürlich nicht mehr zu denken. Dann müssen wir eben die restlichen fünf Stunden stehen. Aber uns ist das Glück hold: Wir treffen den Mann wieder, der uns zuvor gegenübersaß, und er lässt für die Gringos zwei Plätze räumen und „die Herren dürfen sitzen“! Meine blöde Frage, ob es jetzt mehr Menschen sind, wird dahingehend beantwortet, dass es jetzt weniger Waggons seien – darauf wäre ich nie gekommen! 

Nach Mitternacht kommen wir in Puno am Lago Titicaca auf 3.812 müM an

Nach zwei Stunden langsamer Fahrt kommen wir nach JULIACA, wo sich die Strecken nach Cuzco und Puno trennen. Angeblich fährt unser Waggon nach Cuzco, also müssen wir alle raus und alle wie Bahnbeamte aussehenden Männer werden mit Fragen überfallen, wo, wie, wann es weiterginge. Es heißt dann, der nächste Waggon führe nach Puno – also dort wie­der rein. Dann rangieren wir in dem fürchterlichen Dreckskaff Juliaca (alles steht unter Was­­ser, ist ungepflastert und es gibt nur Lehmhäuser, aber trotzdem schmecken und bekommen uns die von fliegenden Händlern verkauften Fleisch-Empanadas gut, denn man sieht ja nicht, wie sie gemacht wurden), ewig hin und her. Dann heißt es, der Zug führe doch nach Cuzco, dann wieder nach Puno usw. Schließlich geht’s dann wirklich los – hoffentlich in die richtige Richtung!?! Bald kommen wir an die ersten Sumpfausläufer des Titicaca-Sees. Spontan müs­sen wir die Fenster schließen, weil wir von Myriaden Mücken überfallen zu werden drohen. Die Indios – andere Menschen wohnen in dieser Höhe von 3.812 m (See) nicht – stehen teilweise bis zu den Knien im Wasser und Dreck, mähen Gras, bewachen Schafe usw. Die Hütten sind nur aus Lehm und weitaus schlechter als in der Ost-Türkei. Wirklich ein Hundeleben. Am Ufer sieht man oft die Schilfboote, die denen aus Huanchaco (bei Trujillo) ähnlich sind. Schließlich kommen wir gegen Mitternacht nach 14½ Stunden Fahrt (350 km), also Durchschnitt von 25 km/h, in PUNO am Titicaca-See in 3.812 m Höhe an. Und uns hat weder die Höhenkrankheit soroche erwischt, noch sind wir einem Diebstahl zum Opfer gefallen – für beides ist die Wahrscheinlichkeit gering, nicht betroffen zu werden, aber heute haben wir einfach viel Glück gehabt!

Zugegebenermaßen machen uns die Fahrt, der wenige Schlaf und die Höhe doch etwas aus und nach einigem Hin und Her bringt uns jemand zum Hotel „Uros“, wo wir uns gleich hinlegen und eine Stunde schlafen. Anschließend gehen wir völlig schlapp etwas essen und durchwandern den einigermaßen ordentlichen, kleinen Ort Puno, ohne aber den Mumm für größere Unternehmungen zu haben. Wir kaufen noch Karten für die Weiterfahrt und schauen uns auch noch einige Alpaca-Pullover an, die es hier für ca. 15.000 Sole gibt. Nach einem steifen Grog gehen wir im eiskalten Hotel unter vier doppelten Woll­decken schlafen.

Donnerstag, 05.04.  Das Wecken klappt morgens – wie erwartet – nicht, so kommen wir wieder einmal ohne Frühstück zum Bus, der uns an die bolivianische Grenze bringen soll. Wir haben uns nämlich lange überlegt, ob wir noch nach La Paz fahren wollen, oder ob die Zeit dafür nicht reicht. Ich war eigentlich dagegen und wollte lieber den Inka-Trail auf den Machu Picchu machen. Aber Jürgen hat mich überredet, doch noch nach Bolivien zu fahren. So sitzen wir jetzt also im Minibus, der uns nach Copacabana bringen soll. Der Ort liegt auf einer Halbinsel im Titicaca-See, die an peruanisches Gebiet grenzt, aber bereits zu Bolivien gehört.

lm Bus geht es am Titicaca-See entlang, wobei links der knallblaue See (fast wie der Van Gölü in der Ost-Türkei) liegt und im Schilf seicht ans Ufer schlägt. Aus dem Schilf machen die Campesinos (man soll nicht Indios sagen!) hier kleine Boote zum Fischen. Rechts vom Bus geht die Hochebene Altiplano weiter mit zahl­reichen Schaf- und Lamaherden, die von Indiofrauen bewacht werden. Viele Ochsengespanne sind auch zu sehen, die mit hölzernen Hakenpflügen den Boden aufreißen. Bis JULI fahren wir direkt am See entlang und kom­men dann vom Ufer weg. Neben mir sitzt ein kolumbianischer Hare Krishna Jünger, der die ganze Zeit leise betet. Dann erreichen wir die Halbinsel und den Grenzort YUNGEEO. Zuerst fahren wir beim boliviani­schen Konsulat vor, damit die Franzosen, Chilenen und Kolum­bianer ein Visum erhalten können (wir brauchen keines). Das klappt jedoch nur bei dem Franzosen und so fahren wir weiter an die Grenze. Zwischendurch steigt noch ein Geldwechsler ein (in Bolivien soll man angeblich schwarz wechseln), bei dem wir 20 US-$ wechseln. Dafür erhalten wir 60.000 bolivianische Pesos. Da der größte Schein (erst seit einem Jahr im Umlauf!) nur 1000 Pesos wert ist, erhalten wir einen Packen von 60 Schei­nen. Ein europäisches Portemonnaie ist also nicht mehr einsetzbar.

An der peruanisch-bolivianischen Grenze bei Copacabana am Lago Titicaca [Bild: REM]

Der Wallfahrtsort Copacabana

Bevor wir unseren Ausreisestempel von Peru erhalten, frage ich, ob wir in ein paar Tagen auch ohne Probleme wieder ein­reisen könnten: „Claro, Perú es un pais libre“, lautet die fast beleidigte Antwort des Grenzbeamten. Für 200 Pesos (20 ₰) erhalten wir einen Einreisestempel für Bolivien und die Fahrt geht weiter. Nachdem wir die visalosen Chilenen und Kolumbia­ner an einer Kontrollstelle zurücklassen mussten, kommen wir ½ Stunde später in COPACABANA an. Wir kriegen gleich ein sehr sauberes Zimmer für 700 Pesos à Person (ca. 60 ₰!!). Dieses ist die billigste, aber bei weitem nicht schlechteste Über­nachtung meines Lebens, an die selbst ägyptische Preise nicht tippen können. Übrigens sollte dieser Ort Copacabana am Titicaca-See nicht mit dem gleichnamigen Strand in Rio de Janeiro (also Brasilien) verwechselt werden, der tausende Kilometer entfernt jenseits der Anden am Atlantik liegt.

Anschließend gehen wir gut und ebenso preiswert essen, aller­dings ist die Auswahl nicht groß. Da wir vorhaben, zur be­rühmten „Isla del Sol“ im Titicaca-See zu fahren, gehen wir dann ‚runter zum Hafen, um uns nach Fahrpreisen und -zeiten zu erkundigen. Hier sind die Preise schon wieder touristischer: 40.000 Pesos für ein Motorboot, 25.000 Pesos für ein Segelboot und 20.000 für ein Ruderboot (13; 8,50 bzw. 7 US-$), jeweils von morgens bis nachmittags für’s ganze Boot. Schließlich verab­reden wir uns mit dem Segler für 6 Uhr morgens. Dann will er uns mit seinem kleinen Boot „Joven Juanito“ zur Insel bringen, an zwei Seiten anlegen, wo man die Ruinen der Inkas besichtigen kann und zurückfahren. Wir sollen für einen Tag Verpflegung einkaufen, da es auf der Insel nichts zu kaufen gäbe. Hierbei stoßen wir schon bald aufs nächste Problem: es ist einfach unmöglich, Brot zu kaufen! So etwas habe ich noch nie erlebt – aber im ganzen Dorf gibt es tatsächlich kein Brot. So erstehen wir lediglich eine Dose Thunfisch und eine Dose Fleisch, die jeweils mehr kosten als eine Übernachtung! Brot soll es am nächsten Morgen ab 5 Uhr geben.

Copacabana ist einer der wichtigsten Wallfahrtsorte Südamerikas, so dass wir nicht nur die riesige, z.T. an eine Moschee erinnernde Basilika besuchen, sondern auch den heiligen Berg, der direkt am See liegt. Auf diesen führt eine breite Treppe mit zehn großen Kreuzen, die die Stationen für die Prozession bilden. Da Copacabana, wie der See, bereits auf 3.812 m liegt und der Berg noch ca. 250 m höher ist (also über 4.000 m), kommen wir völlig fertig und aus dem letzten Loch pfeifend – trotz einiger Stops – oben an. Jedoch mehr als die Kreuze, Altare, Opferstätten etc. bewegt uns der Blick auf den knall-dunkelblauen, „unver­schämt blauen“ (Renz) See, der zusammen mit den dahinterliegenden, z.T. schnee­bedeckten Bergen eine herrliche Einheit bildet.

Die Wallfahrtskirche in Copacabana [Bild: REM]

Der „unver­schämt blaue“ Titicaca-See [Bild: REM]

Ich lasse es mir natürlich nicht nehmen, trotz nur 10°C Wasser­temperatur, im Titicaca­see zu baden, während der frostige Jürgen lediglich als mein Handtuchhalter fungiert. Trotz der Kälte ist das Baden im höchsten, schiffbaren See der Welt (16-mal so groß wie der Bodensee, 3-mal so groß wie der Van Gölü/Osttürkei) ganz herrlich. Abends gehen wir Forellen essen, von denen man hier allerdings nur ein Stückchen bekommt, da sie aufgrund des kalten Seewassers ca. 1,5 – 2 m lang sind (!). Anschließend verleben wir – anlässlich meines heutigen 26. Geburtstages – einen netten feuchtfröhlichen Abend bei peru­ani­schem Rotwein vom Weingut Kohlberg, zusammen mit zwei sehr Alternativen aus der Berliner Hausbesetzerszene  und einigen bolivianischen Zöllnern, die den Sangani San Pedro (Schnaps aus Weintrauben, also Grappa) mit Ginger Ale saufen wie Wasser.

Erreichen wir die Ruinen auf der Isla del Sol im Titicaca-See?

Freitag, 06.04. Obwohl heute nicht Freitag der dreizehnte ist, starten wir bereits mit einigen Herausforderungen in den Tag. Zunächst werden wir nicht, wie fest versprochen, um 5 Uhr geweckt. Dann fehlen auf der Leine die zum Trocknen aufgehängten Bade- und Unterhosen von mir und das Handtuch von Jürgen. Unser erster Diebstahl, und das in Bolivien, das am sichersten sein soll. Schließlich hat der Markt noch geschlossen, obwohl es zuvor hieß, er mache schon um 5 Uhr auf und wir können weder Brot noch Getränke einkaufen. Gar nicht gut! Dafür ist unser Schiffer nicht wie verabredet um 6 Uhr am Boot, und wir stehen dumm in der eiskalten Dunkelheit des frühen Morgens. Wir gehen wieder zum Markt rauf, der schließlich um ½ 7 aufmacht, und wir kriegen wenigstens heißen Kaffee (es ist affenkalt). Aber Brot ist nicht zu kaufen und selbst zum Kaffee gibt es nicht mehr als zwei Stück pro Person, die wir uns vom Munde absparen. Das gibt’s ja nicht einmal im Ostblock! Kurz vor 7 Uhr sind wir dann am Boot und der Schiffer macht das Segel fest, aber aus irgendwelchen Gründen soll uns jemand anderes fahren. Mit einem älteren Mann und einem kleinen Jungen zusammen geht’s dann rudernd los in unserem „Äppelkahn“. Bald wird das Segel (aus alten Zuckersäcken zusammengenäht und der Rest ebenso improvisiert) hochgezogen, aber aus Mangel an Wind bald wieder eingezogen und der Mann rudert uns stattdessen.

Rudernd werden wir in diesem Boot über den Titicaca-See bewegt [Bild: REM]

Bald stellt sich unser nächster Lapsus raus: Wir haben unsere Sonnencreme ver­gessen und die Sonne scheint immer stärker! Wieder Mist! Gaaanz lang­sam kommen wir vorwärts und als eine Minibrise von Wind aufkommt, versuchen wir es noch einmal per Segel, müssen aber bald aufgeben. So geht es rudernd weiter. Wir würden ihn ja gerne unterstützen, aber es gibt nur ein paar Riemen, die er nicht hergibt. Der Mann und der Junge unterhalten sich auf Aymara (Sprache der Campesinos am Titicaca ­See), sprechen aber auch castellano (wie spanisch hier heißt). Nachdem wir eine ganz enge Stelle durchfahren haben, dauert’s noch eine Stunde und wir kommen schließlich anstatt nach zwei erst nach gut drei Stunden an der Isla del Sol an.

Auf dieser Insel soll nach Inkasagen die Welt – ähnlich wie in der Bibel beschrieben – erschaffen worden sein und hier stand vermutlich auch die Wiege der Inka-Kultur, wovon noch einige Ruinen zeugen, die wir gern besichtigen möchten (u. a. der Sonnentempel, und das Kloster der Sonnenjungfrauen). Oberhalb der Anlegestelle ist gleich eine kleine, un­scheinbare Ruine, die ich nicht als Inka-Original erkannt hätte, wie es der Schiffer be­hauptet. Die ganze Seite der Insel ist in Terrassen geglie­dert, wo zu Inkazeiten Land­wirtschaft be­trieben wurde. Heute liegen sie jedoch verlassen und z.T. zerstört da. Ziemlich aus der Puste kommend und so die Art des Anlegens der Terrassen noch mehr bewundernd, er­reichen wir die Inkaruine, von der wir fast glauben, sie ist nachträglich für Touristen erbaut worden – wer weiß? Aber uns erwarten ja noch andere Ruinen auf der anderen Seite der Insel.

Blick von der Isla del Sol über die Terrassen auf die Isla de la Luna [Bild: REM]

Mit viel Mühe und Atem erklimmen wir den nächsten Gipfel über diverse Terrassen. Während wir den Thunfisch auf unsere drei mühsam erkämpften Brötchen verteilen und verspeisen und dabei einen tollen Blick auf die gegenüberliegende Isla de la Luna, den blauen See und ein schneebedecktes Gebirgsmassiv mit dem berühmten Potosí haben, kommt eine Indiomutti mit einem Kind auf dem Rücken und einem an der Hand, während sie eine Schaf-/Lamaherde weitertreibt – ein ebenso ärmliches wie ursprüngliches Bild. Auf einer Terrasse bleibend, marschieren wir in Richtung auf das Dorf, verteilen kleine Geschenke, machen Bilder, sehen viele Campesinos und keine Touristen. Währenddessen fängt die Sonne an, an unseren ungeschützten Körpern (insbesondere Gesicht und Nase) zu arbeiten…

Campesinos mit Lamas auf der Isla del Sol [Bild: REM]

Schafherde auf den uralten Terrassen [Bild: REM]

Nach 1½ Stunden gehen wir zum Boot zurück und der Schiffer fragt uns, ob wir noch weiter wollen oder zurück nach Copacabana. Natürlich weiter „al otro lado“ – zur anderen Seite. Er rudert uns jedoch nur 500 m weiter zu einer Inka-Treppe, die parallel zu einem Was­serfall durch diverse Eukalyptus-Bäume führt – sehr schön, aber nicht das, was wir eigentlich suchen. Eine junge Frau, der wir etwas abkaufen, erzählt uns, dass die anderen Ruinen sehr weit auf der anderen Seite der Insel lägen, 2 ½ Stunden zu Fuß. Das sind also die Ruinen von Pilko Caima, die wir eigentlich gerne sehen wollen. Nein, heißt es, er könne dazu nichts sagen, aber wir seien ja schon an zwei Stellen gewesen wie abgemacht und die andere Seite sei viel zu weit und Pilko Caima kenne er nicht. Ist ja wieder super – also geht’s wieder zurück. Schade.

Die Rückfahrt geht etwas flotter, denn wir können fast alles segeln, da glücklicherweise etwas Wind auf­gekommen ist. Aber der Sonnenbrand (insbesondere meine Nase) nimmt langsam schlim­me Formen an. Nach knapp drei Stunden sind wie wieder in Copacabana. Wir gehen dann – nicht ganz glücklich und verbrannt – zu unserem Hotel zurück, wo niemand etwas von unseren gestohlenen Sachen weiß. Bolivien ist schon so ein spezielles Land! Dafür kriegen wir Buskarten für nur 1.000 Pesos à Person nach La Paz (150 km) für den nächsten Morgen. Schwieriger ge­staltet sich dagegen die Suche nach einem Restaurant für’s Abendessen. Schließlich finden wir etwas im selben Lokal wie am Vorabend, wo der Wirt sehr nett ist. Und morgen geht es weiter nach La Paz, worauf wir bereits sehr gespannt sind!

Blick auf die Halbinsel Copacabana [Bild: REM]

Reiseführer/Reiseliteratur

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Und wie geht es weiter?

Im fünften und letzten Teil meines Südamerika-Tagebuchs werden wir anschließend an La Paz als weitere Highlights die Inka-Festung Machu Picchu sowie eine für Mensch und Material herausfordernde Busfahrt von Cusco über mehr als 4000 m hohe „Straßen“ bis nach Lima erleben.

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Titelbild: Foto von Azzedine Rouichi. Titicacasee, schwimmende Uros Inseln

 


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