Peru/Bolivien: Wie wir erstaunlich gut den Altiplano meisterten [Vintage]

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Titelbild Bolivien-Peru. Bildrechte bei Olaf Remmers

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Tagebuch Südamerika: Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Perú, Bolivien

7. Februar bis 27. April 1984

Vorbemerkung: Der Text meines Tagebuches von 1984 wurde nahezu unverändert übernommen. Die Rechtschreibung wurde angepasst und auf die Umrechnung in DM (Deutsche Mark, die Älteren werden sich noch erinnern) verzichtet. Damals gültige lokale Währungen wurden belassen. Während ich Venezuela und Kolumbien ganz allein bereiste, traf ich mich in Ecuador verabredungsgemäß mit einem deutschen Ruder-Freund und wir setzen die Reise in Ecuador, Perú und nunmehr in Bolivien gemeinsam fort.

Informationen aus dem Internet gab es damals natürlich noch nicht, da es gar kein Internet gab – es war also eine rein analoge Reise. Demzufolge war an Verbindungen zu Freunden oder zur Familie über What’s App oder dergleichen gar nicht zu denken. Die zuverlässigste Verbindung waren postlagernde Briefe (wer kennt das noch?) oder in Notfällen extrem teure Telefonate, die mit langen Wartezeiten verbunden waren, bis die jeweiligen Verbindungen hergestellt waren. D.h. es war eine ganz andere Zeit und ich war drei Monate auf mich und meine regionale Umwelt gestellt!

Und ein weiterer großer Unterschied zum heutigen, „digitalen“ Reisezeitalter ist, dass weder Hotels noch Zug- oder Busverbindungen im Internet gecheckt und gebucht werden konnten, sondern alles musste mühsam vor Ort recherchiert werden bzw. durch Informationsaustausch mit anderen Reisenden erfragt werden. Das kostete viel Zeit, kam aber der persönlichen Kommunikation sehr zugute. Anstatt ständig ins Handy zu glotzen, sprach man einfach mit seinen Nebensitzern – altmodisch, aber gut!

 

 

Teil 5: Wie wir erstaunlich gut den Altiplano meisterten

Heute bin ich genau zwei Monate unterwegs und wir verbringen unsere (vorläufig) letzte Nacht in Perú, nämlich in Copacabana am Lago Titicaca auf 3.800 müM. Am nächsten Tag soll es über die Grenze nach Bolivien gehen – mal sehen, was uns dort erwartet:

BOLIVIEN

Flagge von Bolivien

Samstag, 07.04.  Das Wecken klappt schon mal nicht, aber wie immer wache ich rechtzeitig auf. Mit viel Hektik kommen wir rechtzeitig und unge­frühstückt zum Bus. Andert­halb Stunden lang fahren wir über die Halbinsel und kommen dabei sehr hoch – schätzungsweise 4.500 müM. Hier oben gibt es keine Bäume mehr, sondern nur noch Flechten. Allerdings tragen sehr viele Leute Gladiolen mit sich herum – mir ist schleierhaft, wie die hier oben in der Kälte wachsen können. Dann geht’s wie­der abwärts, und wir müssen am Titicaca-See per Fähre über­setzen, um ans bolivianische Festland zu kommen. Dafür müs­sen wir alle aus dem Bus aussteigen, eine Karte für 50 Pesos kaufen und werden von einem kleinen, jedoch mit Motor betriebenem Boot auf die andere Seite übergesetzt. Währenddessen wird auch der Bus auf eine Holz­fähre bugsiert und langsam hinübergebracht. Auf der anderen Seite halten ein paar Leute mit Ketten die Fähre stramm am Ufer, während der Bus herunterfährt. Während­dessen haben wir schnell einen Kaffee und ein trockenes Brötchen gegessen und die Fahrt im überfüllten Bus wird fortgesetzt.

Unser Bus wird auf der Fähre verladen und setzt über den Lago Titicaca [Bild REM]

Quer über den Altiplano fahren wir weiter und plötzlich kommt LA  PAZ in Sicht. Zunächst geht es durch die obenliegen­den, sehr armen Slumviertel mit aufgerissenen Straßen und Lehmhäusern, dann fahren wir von oben mit tollem Blick auf das Zentrum in den höchst­ge­legenen Regierungssitz der Welt (3.200-4.100 müM je nach Stadtteil). Die Hauptstadt Boliviens ist übrigens Sucre. In der Avenida Mano Kapac ist Endstation, und wir finden schnell ein einigermaßen gutes Hotel („Italia“). Auf der Suche nach dem Touristenbüro und einer Wechselmöglichkeit für unser Geld machen wir erste Bekanntschaft mit der Stadt. Da sie zu 80% von Campesinos (Indios) bewohnt ist, prägen die­se mit ihren bunten Farben und Trachten auch das Bild in den Straßen. Zunächst gehen wir durch sehr steile Straßen, die auf beiden Seiten von dasitzenden Indiofrauen gesäumt wer­den, die auf Decken ein paar Kleinigkeiten wie Unterhosen oder Schnürsenkel oder Ra­sierklingen oder Saft oder direktzubereitetes Essen anbieten. Dann kommen wir zum Plaza San Francisco mit der gleichnamigen alten Kirche, die eine herrliche Fassade und Gold­altare besitzt. Hier beginnt das moderne Viertel mit Hochhäusern, Banken, Versicher­ungen etc. Trotzdem fehlen auch hier nicht die Indiomuttis, die Schuhputzer, die Zeitungsverkäufer etc.

Unser erster Blick auf La Paz, den höchst­ge­legenen Regierungssitz der Welt (3.200-4.100 müM) [Bild REM]

Am Touristenbüro gibt es natürlich keine Info mehr (obwohl noch Öffnungszeit ist) und in einem Casa de Cambio kriegen wir Cash-Dollar gewechselt (ist das nun Schwarzmarkt oder nicht?) und erhalten für einen 50-Dollar-Schein 170.000 Pesos. Aller­dings hat er nur noch 130.000 Pesos in den „praktischen“ Tausend-Pesos-Scheinen und die letzten 40.000 Pesos nur noch in Hundert-Pesos-Scheinen. So erhalten wir insgesamt 530 Scheine, d.h. einen Stapel von knapp 20 cm Höhe (die Scheine sind zur Hälfte geknickt), der alle unsere Hosen­taschen füllt. Das Geld ist hier wirklich ein Wahnsinn. Vor zwei Jahren war 1 US-$ noch 25 Pesos jetzt 3400!! So bringen wir unser Hab und Gut ins Hotel und gehen dann essen. Für 2000 Pesos gibt es Vorspeise (Salat), Suppe, Hauptgericht (Lasagne), Nach­tisch (Kompott) und Kaffee. Das gleiche, etwas einfacher, kann man woanders auch für 600 Pesos erhalten!! Es ist wirklich unglaublich günstig.

Für 50 US-Dollar erhalten wir 170.000 Pesos – hier ein praktischer Größenvergleich [Bild REM]

Irgendwo ist immer Markttag

Anschließend fahren wir mit einem Bus in die Av. Buenos Aires. Das ist wieder ein Erlebnis à la Kairo! Der Minibus ist völlig überfüllt: links vom Fahrer stehen drei Leute, zwischen den bereits besetzten Sitzen stehen Leute, das Trittbrett ist besetzt und manchmal hängen sogar Kinder an der hinteren Stoßstange. Und mitten dazwischen wir mit 500 Dollar, Kamera etc. am Leib. Wir fahren hier viel Bus, aber werden keinerlei Diebstahl zu beklagen haben! Steilste und engste Straße der Innenstadt mit kolonialen Häusern und Kirchen passierend, kommen wir schließlich zur Buenos Aires, wo wir die Marktatmosphäre genießen. Insbesondere typisch sind die dicken Indio-Muttis mit obligatorischem Bowler auf dem Kopf, mit zig Röcken bekleidet, mit Kind auf dem Rücken im Tuch und inmitten ihrer Habseligkeiten. Seien dieses nun zehn schwarze Bananen, eine Pfanne mit altem Fett und Fleisch darin, BH’s in Riesengrößen oder 5-Ltr.-Kanister mit Schnaps – hier gibt es eben alles.

Eine ganz typische, indianische Verkäuferin inmitten ihrer Gewürze [Bild REM]

Vom Verkauf einiger weniger Früchte müssen viele Familien überleben [Bild REM]

Dann kommen wir in eine Straße, in der hauptsächlich Jungs und Männer ihre Sachen anbieten: kaputte Plattenspieler, halbe Kofferradios, drei Schlipse oder alte Schuhe. Da je­der nur ein Teil stehend anbietet, ist das Gedränge wahnsinnig, und ich nehme meine Uhr sicherheitshalber ab und habe beide Hände in der Tasche, um Geld und Fotoapparat fest­zuhalten. So gelangen wir langsam wieder nach unten an den Plaza San Francisco und ruhen uns dann im Hotel etwas aus. Später gehen wir noch ins moderne Viertel, besichtigen die vor Plakaten und Schriften kaum erkennbare Uni, wo abends ein Fest sein soll und fah­ren im Sheraton in den 15. Stock, um den herrlichen Blick von oben auf die Stadt genießen zu können.

Endstation des städtischen Busses [Bild REM]

Zu Abend essen wir in einem Grillrestaurant, wo wir diverse Grillspezialitäten kriegen (Kuttelwurst, Blutwurst, Leber und sogar ein Stück richtiges, zähes Fleisch). Dazu gibt es Rotwein, den der Ober als Essig bezeichnet, aber uns gut schmeckt. Abends im Dunkeln nimmt die Anzahl der Stände und Decken am Straßenrand noch zu (sofern überhaupt noch möglich) und sie sind sogar oft mit einer Glühbirne beleuchtet. Unser Uni-Fest wird leider nichts, da es um eine Woche verschoben worden ist -schade. So wollen wir dann schlafen gehen, aber im zum Hotel gehörigen Restaurant, direkt unter unserem Zimmer, gastiert heute die mexikanische Kapelle „Los Marachos„. Da ich in puncto Krach schon Kummer aus Mérida kenne, will ich lieber daran teilnehmen, als zu  versuchen, bei dem Krach zu schlafen. Ich schlafe dann aber doch ein und der Krach ist gar nicht so schlimm wie befürchtet.

Sonntag, 08.04. Erstaunlicherweise gibt es gleich ein Früh­stück in einem Café um die Ecke, wo wir eine Art dicker Empanadas essen, die mit Fleisch und Sauce gefüllt sind: Riesensauerei, aber lecker. Der im SAH und im Du Mont empfoh­lene Mercado Camacho entpuppt sich als ganz gewöhnlicher Gemüse- und Fleischmarkt, wo wir nicht lange bleiben. Dafür hat das Touristenbüro tatsächlich offen, und wir werden von einem sich im Sessel flegelnden und ständig gähnenden, jungen Mann sehr mäßig informiert. Dabei stellt sich heraus, dass unsere Skiausfahrt zum nahen Chacaltaya (Talstation 5.200 müM!!) nicht klappt, da es nur am Wochenende Busse dorthin und Ski­ausrüstungen zu leihen gibt – sehr schade. Auch das sonntag­nachmittägliche Folklore-Konzert im Coliseo Cerrado entfällt angeblich.

Eine abenteuerliche Busfahrt quer durch La Paz

So fahren wir per Bus zum Aussichtspunkt Sopocachi, der in einem besseren Viertel La Paz‘liegt, wo mittel­ständische Familien gerade vom Kirchenbesuch ankommen. Der Blick auf das moderne La Paz und den 6.447 m hohen, schneebedeckten Vulkan Illimani sind sehr schön. Anschließend steigen wir in einen Bus ein, der uns wieder nach unten brin­­gen soll, da er aber in die Gegend fährt, von der wir hoffen, dass wir wieder einen so schönen Blick auf die gesamte Stadt haben, wie bei unserer Ankunft, bleiben wir einfach sitzen. So machen wir dann eine 1½-stündige Stadtrundfahrt für und kommen dabei durch die unterschiedlichsten Gegenden: Arm, reich, dreckig, sauber, Marktgewühl, sonntägliche Leere etc. Schließlich flie­gen wir an der Endstation als letzte aus dem Bus und sind nach zehn Minuten Gehen wieder an dem Aussichtspunkt.

Am Aussichtspunkt Sopocachi [Bild REM]

Ein modernerer Stadtteil von La Paz und im Hintergrund der schneedeckte Vulkan Illimani [Bild Rem]

Wieder zu Fuß unten, trinken wir in einem Gartenlokal eines teuren Hotels (sonst gibt es hier so etwas nicht!) ein Bier und fahren anschließend per Bus wild drauf los, um endlich in die Gegend zu kommen, über die wir hereingefahren sind. Mit dem zweiten Bus schaffen wir es dann tatsächlich und kommen so nach ganz oben. In La Paz ist es genau umgekehrt wie in allen anderen Städten: Oben in der dünnen Luft (über 4.000 m) wohnen die Armen und unten (mehr als 500 m tiefer) in dickerer Luft wohnen die Reichen. So sind wir also wieder in einer sehr armen und laut Reiseführer gefährlichen Gegend gelandet. Wir gehen noch ein Stück weiter und haben einen einmaligen Blick auf La Paz: Rundherum am Rande die är­meren und armen Viertel, dann etwas tiefer bessere Gebiete und schließlich unten in der Stadt Plätze, Kirchen und Hochhäuser. Im Hinter­grund schließlich die zahlreichen Berge und über allem thronend der schneebedeckte Illimani, was alles zusammen in der Sonne ein herrliches Bild abgibt. Um zurückzufahren, müssen wir uns an einer langen, disziplinierten Schlange anstellen und kommen mit einem überfüllten Bus in die Stadt zurück.

Typisches Stadtviertel in La Paz [Bild REM]

Oben liegen die Stadtviertel der armen Campesinos und weiter unten die Gegenden der Wohlhabenderen [Bild REM]

Im Touristenbüro hieß es ja, dass kein Folklore-Konzert statt­finde, aber zufällig kommen wir doch an ein stadionähnliches Gebäude. Da viele Leute hineindrängen, frage ich, was los sei. Und siehe da, hier gibt’s Folklore. Der Kartenabreißer erspart uns die Mühe, Karten zu kaufen und lässt uns für je 500 Pesos – wahrscheinlich der dreifache Preis – so her­ein und steckt sich das Geld gleich in die Tasche. Im Stadion sind wir nicht nur die ein­zigen Touristen, sondern auch die einzigen Nicht-Indios – umso interessanter. Zunächst gibt’s nur Platten­spieler-Musik und Ansagen auf Quechua. Da wir die Indio­sprache nicht verstehen, wissen wir nicht was los ist. Nach einer halben Stunde Wartezeit stürmt plötzlich ein großer Teil der Menschen nach oben und bildet eine Schlange. Wir bleiben aber brav sitzen und die anderen kommen nach der nächsten An­sage auch wieder. Fach einer weiteren halben Stun­de geht’s dann auch schon los. Aber die Stunde des Wartens war doch ganz interes­sant, da man die Campesinos gut beobachten konnte: Viel von ihrem knappen Geld geben sie für Eis, Bonbons, Hüte, Sprudel, Popcorn und anderen unnützen Quatsch aus, der stän­dig angeboten wird. Das Geld dafür haben übrigens ständig die Frauen. Leider ist die dar­gebotene Musik nicht so toll und wir gehen bald wieder.

Kicken auf fast 4000 müM – das hält fit! [Bild REM]

Über eine der üblichen „Knutsch-Wiesen“, diesmal in Hanglage, quälen wir uns nach oben und kommen an einen Freizeitpark. Da wir die 10 Pesos Eintritt nicht passend haben, müssen wir eben jeder 25 Pesos zahlen: Preiserhöhung um 150%! Der kleine Park ist völlig überfüllt, und es werden neben recht ordentlichen Anlagen auch Kinderspielplatz, Ferngläser, Musik, Essen, Trinken, Kinderspiele etc. angeboten. Schließlich fragen wir uns noch nach dem „Parque Arqueologico al Aire Libre“ durch, wo viele präkolumbische Stein­figuren aus Tihuanacu stehen sollen, wohin wir auch noch wollen. Allerdings entpuppt es sich ledig­lich als überdimensionale Verkehrsinsel mit ein paar Figuren.

Später kommen wir zufällig an einem Kino vorbei, in dem der berühmte Film „Naranja mecánica“ („Clockwork Orange“) gegeben wird. Der Film würde uns beide interessieren. So gehen wir nach zwei Steh-Hamburgern an Ständen auf der Straße zu diesem Kino. Leider ist aber schon alles ausverkauft. So stehen wir dann dumm vor dem Kino auf der Straße, als uns plötzlich zwei Karten zu Schwarz­marktpreisen angeboten werden. Dank dieser Tatsache kommen wir zu dem fast unverschämten Preis von 1000 Pesos je Person ins Kino. Jedoch der Kauf der Karten ist dann das Interessanteste an dem Abend, denn der sehr bekannte Film, reißt uns nicht gerade vom Sessel, im Gegensatz aber dazu die Tatsache, dass zuvor ein zehnminütiger Werbefilm für die Bundes­republik Deutschland gezeigt wird. Auf dem Rück­weg zum Hotel ist die Stadt sehr belebt und wir wundern uns, dass hier am Sonntagabend mehr los ist als am gestrigen Sonnabend. An einem Stand trinken wir noch ein merk­wür­diges Getränk, das aus Sangani besteht, in dem eine heiße, schaumige. Mischung aus Milch, Wasser, Anis, Zucker und anderen Gewürzen gegeben wird – sehr lecker.

Montag, 09.04. Wir laufen morgens über eine Stunde durch die fast tote Stadt, ohne eine Möglichkeit zu finden, wo wir frühstücken können. Als wir schließlich doch etwas auftun, erfahren wir den Grund: Heute ist der 32. Gedenktag der bolivianischen Revolution von 1952 und des­wegen ein Feiertag! Am Plaza Murillo findet eine kleine Kund­gebung statt, aber so geringen Umfangs, dass in Deutschland jede Hausbesetzer-Demo mehr Zulauf fände. Anschließend suchen wir das Büro der einzigen Busgesellschaft, die in Richtung peruani­scher Grenze fährt und finden diese schließlich in der Nähe des Friedhofes. Jedoch können wir nicht gleich Karten kaufen, denn die gibt es erst unmittelbar vor der Abfahrt des Busses. Also müssen wir am nächsten Morgen bereits eine Stunde vor Abfahrt dort sein. Da wir jetzt sowieso im Gebiet des Marktes sind (Av. Buenos Aires), durchlaufen wir diesen kreuz und quer. Da­bei erstehen wir zwei Indio-Mützen mit Ohrenklappen und ich einen Dia-Film, der hier nur genauso viel kostet wie in Deutschland (wo der wohl geklaut wurde?). Auf dem Markt ist hier am Feiertag natürlich das gleiche los, wie an jedem Tag. Besonders auffällig sind übrigens die vielen Geschäfte, die große, rötliche Blechkanister à 10 ltr. mit Zuckerrohrschnaps ver­kau­fen. Also das Saufen wird hier wirk­lich sehr massiv durchgeführt!

Überraschenderweise erleben wir den bolivianischen Revolutionstag in La Paz

Als wir uns dann gerade im Hotel etwas waschen wollen, hören wir Musik und sehen aus dem Fenster einen Umzug mit Campesinos in Volkstrachten und mit Musikinstrumenten. Jetzt geht der Revolu­tionstag offensichtlich richtig los, denn die Revolution ging seinerzeit von den Mineros (Kumpels) aus, die deswegen heute ihren großen Tag haben. Unten auf der Straße können wir den langen Umzug gut beobachten: Jede bolivianische Region stellt eine eigene Abordnung von Leuten in folkloristischen Uniformen, die zu ihrer Musik tanzen. Da­zwischen laufen dann immer Campesinos in „Zivil“, die Plakate für den Revolutions­tag mit sich tragen – also eine bunte Mischung aus Folklore und politischem Anspruch.

Mineros (Minenarbeiter) in Volkstrachten und mit Musikinstrumenten, die den Jahrestag der Revolu­tion von 1952 feiern [Bild REM]

Die Mineros sind sehr stolz auf ihre politischen Aktivitäten [Bild REM]

Auch einige junge Mineros beteiligen sich [Bild REM]

Viele Teilnehmer sind von weither angereist [Bild REM]

Nach diesem interessanten Intermezzo beginnen wir, verstärkt unsere bolivianischen Pesos auszugeben. Hier gibt es einige „artesanías“ genannte Hinterhöfe, wo man Pullover, Schmuck, Wandteppiche, Musikinstru­mente etc. kaufen kann. Für einen Alpaca-Pullover (ich bin aller­dings nicht sicher, ob es wirklich 100 % Alpaca ist) wollen sie nur 10.000 Pesos haben, allerdings passt mir keiner. So suchen wir weiter und probieren verschiedene Pullover an, die einem die Indio-Muttis – immer mit Baby auf dem Rücken und manch­mal gleichzeitig stillend – immer schön zurechtziehen und -zupfen. Die Preise sind ziemlich unterschiedlich und gehen fast bis 30.000 Pesos ‚rauf, je nach Dicke, Feinheit und Material. Aber alle Pullover sind handgestrickt, wie man ständig beobachten kann. Bei einer ganz niedlichen Indiofrau finden wir dann ganz feine, weiche Alpaca-Pullover, und es tut mir sooo leid, dass sie mir nicht gefallen. Dafür hat dann eine recht unfreundliche Frau in einem richtigen Laden eine große Auswahl, und wir erstehen zwei Stück für je 17.500 Pesos – mit schönen Lama­mustern.

Wir kommen noch an weiteren Ständen vorbei, wo es sehr schönen Silberschmuck und Silbergefäße (für Touristen) gibt, aber auch Lamaföten, die die Indios in Häuser einmauern, um böse Geister abzuhalten, und vielen anderen Zauberkram. Sehr interessant! Wieder unten am Plaza San Francisco ist hier inzwischen einiges los. Es ist eine Holzbühne aufgebaut und unter der Ansage vor Politikern oder Gewerkschaftlern spielen die einzelnen Gruppen, die wir zuvor im Umzug sahen, vor und kämpfen sich dann tanzend und musi­zierend durch die Menge, um dann bis zum Bahnhof weiterzumachen, von wo aus sie per Zug wieder heimfahren. Wir haben wirklich Glück, dass wir gerade heute hier sind.

Wenn man an diesen „Zauberkram“ glaubt, hilft er mit Sicherheit [Bild REM]

Nach dem Abendessen kommen wir wieder zum Plaza San Francisco, wo jetzt die Musik so richtig losgeht, nämlich mit professio­nellen Gruppen. Am besten gefallen uns die einheimischen boli­vianischen Gruppen, die mit Pan-Flöte, Ziegenfelltrommeln und Pauke ganz tolle Folklore-Musik machen. Besonders die Art und Weise, wie die Leute ihre Panflöte spielen – immer zwei zusammengehörig – ist beeindruckend. Als gegen 22 Uhr der offizielle Teil vorbei ist, bilden sich spontan neue Gruppen, z.T. aus den Profi-Musikern, z.T. aus den Zuhörern, die Instrumente dabeihaben, und machen noch weiter Musik, wozu getanzt und natürlich gesoffen wird. Die echte Volksseele ist erwacht!

Schaffen wir es irgendwie, aus La Paz herauszukommen?

Dienstag, 10.04.  Um 8 Uhr müssen wir oben am Busbüro sein, um unsere Karten zu kaufen. Da überhaupt nicht daran zu denken ist, in die vollen Stadtbusse mit Rucksack und Tasche ein- und aus­zusteigen, wollen wir per Taxi fahren. Aber auch diese sind kaum zu kriegen. Deswegen kalkulieren wir für den kurzen Weg eine Stunde ein. Als wir um 7 Uhr das Hotel verlassen wollen, schläft noch alles, und der Portier öffnet uns im Morgenmantel – so spät fängt hier alles an! Unerwarteterweise kriegen wir sofort ein Taxi, das uns für 500 Pesos hinaufbringt. Dort steht schon ein Bus bereit, der aber bereits besetzt ist. Auf die Aufforderung des Schaffners, versuchen wir uns noch zwi­schen mit Säcken, Taschen und Babys beladenen Indios hindurch­zukämpfen, um wenigstens einen Stehplatz für die 4stün­dige Fahrt zu kriegen. Aber auch daran ist gar nicht zu denken, und wir kämpfen uns wieder aus dem Gewühle heraus. Ein Angestellter sagt uns dann, wir sollten uns für den nächsten Bus anstellen, um wenigstens für diesen Karten zu bekommen. Das tue ich dann, während Jürgen draußen in der eisigen Kälte unser Gepäck bewacht. Obwohl ich zuerst gut in der Schlange bin, stehe ich bald allein da und die Indiomuttis kloppen sich daneben um die besten Plätze. Schöne Sch… Resigniert gebe ich auf und überzeuge Jürgen, dass wir irgendwie per Taxi aus La Paz herauskommen müssen, denn per Bus klappt das nie.

Auf dem Altiplano zwischen La Paz und der peruanischen Grenze [Bild REM]

Wir stoppen ein Taxi, das uns zwar nicht aus La Paz heraus­bringt, aber zu einem Stand für Überlandtaxis. Und wo ist das? Direkt gegenüber vom Hotel! Dort treten wir dann in Verhand­lungen. Unser Ziel ist, zunächst nach Tihuanacu (präinkaisches Monument) und dann nach Desaguadero weiterzufahren (peruanische Grenze). Das hätte per Bus je 1.500 Pesos gekostet und der Taxifahrer will uns für 60.000 Pesos nach Tihuanacu fahren, dort warten, bis wir fertig sind und uns dann weiter an die Grenze bringen. Das ist uns natürlich viel zu teuer, und außerdem haben wir nicht mehr so viele Pesos. Wohl eine Stunde lang wird dann überlegt, geplant, verhandelt bis der sehr nette Mann uns schließlich für 10 US-$ plus 5000 Pesos fahren will.

Zuerst machen wir noch eine kleine „Stadtrundfahrt“ und holen beim Fahrer 10 $ Wechselgeld für unseren 20-$-Schein ab. Dann fahren wir zur Post, wo wir endlich unsere Karten und Briefe abgeben können (Samstag, Sonntag und Revolutionstag waren zu). Danach geht’s dann endlich los. Zuerst nach ganz oben aus der Stadt heraus. Hier ist noch eine Polizeikontrolle, bevor die nicht asphaltierte Piste beginnt. Der Fahrer erzählt uns sehr interessant über die politischen Verhältnisse Boliviens, die Revolution von 1952 und die Probleme, die daraus resultieren, dass Bolivien seit einem Krieg mit Chile (vor 100 Jahren) keinen Zugang mehr zum Meer hat etc. Dieses ist auch eines der Haupt­probleme des armen Landes, das „auf einer Schatztruhe sitzt, ohne den Schlüssel dazu zu haben“ (DuMont). So stand auch auf einem Schild an der Grenze der Satz: „Bolivianos: El mar nos partenece, recuperarlo es un deber“ (Das Meer wurde uns genommen, es zurückzuerhalten ist eine Pflicht). So kommen wir nicht nur vorwärts, sondern lernen auch noch allerhand dazu. An interessanten Stellen hält er an, damit wir Fotos machen können, erklärt uns bestimmte Getreidesorten (Quinoa) etc. In jedem der armen Lehmdörfer, die wir durchqueren, muss er in der Polizeistation seinen Ausweis vorzeigen. Dann kommen wir nach TIHUANACU. einem der bekanntesten Bauwerke am Titicaca-See, das bereits vor den Inkas erbaut und, von diesen erweitert, als Observa­torium benutzt wurde. Hier steht auch die berühmte Puerta del Sol, das Sonnentor.

Das „Sonnentor“ in Tihuanacu, außerhalb von La Paz [Bild REM]

Köpfe im halb-unterirdischen Tempel in Tihuanacu [Bild REM]

Nachdem wir um 11 Uhr endlich Früh­stück kriegen (vorher war noch keine Zeit), fährt er uns im Höllentempo über die Schotterpiste weiter zur Grenze DESAGUADERO, direkt am Titicaca-See. Glücklicherweise kommen wir noch vor 12 Uhr an, denn dann beginnt hier die dreistündige Mittagspause der Grenzer.

PERU

Flagge von Perú

Schnell und unproblematisch (Perú es un pais libre!) kommen wir über die Grenze und ½ Stunde später sitzen wir schon im Minibus nach Puno. So kommen wir nach einer flotten Fahrt von drei Stunden in PUNO an, wo wir für 7000 Soles in dem Hotel unterkommen, das uns eine Woche zuvor partout nur für 8000 ein Zimmer geben wollte.

Piste direkt am Lago Titicaca, kurz vor Puno [Bild REM]

Nach einem verspäteten Mittagessen kauft Jürgen sich einen weiteren Pullover, und ich mir eine gewobene Alpaca-Jacke. Dann warten wir ewig darauf, dass wir Zugfahrkarten nach Cuzco kaufen können, da wir natürlich vergessen haben, unsere Uhren eine Stunde auf peruanische Zeit zurückzu­stellen. Aber das klappt dann doch. Nach einer leckeren Forelle schreibe ich dann noch lange Tagebuch. Zuvor war ich noch in der Kathedrale von Puno, die wegen eines Stromausfalles ganz mit Kerzen beleuch­tet war – wunderbar!

Mittwoch, 11.04.  Vor der Abfahrt trinke ich an einem Stand vor dem Bahnhof noch schnell einen Kaffee und dabei wird mir der Bahnhof fast vor der Nase ab­geschlossen, aber ich komme gerade noch in unseren Waggon. Wir haben Zugfahrkarten 1. Klasse und der Zug ist ziemlich leer, allerdings sind in un­serem Waggon fast ausschließlich Gringos.

Per Zug auf weit über 3000 müM von Puno nach Cuzco

Vom 3.828 m hohen Puno fahren wir zunächst bis Juliaca am Titicaca-See entlang (wie auf der Herfahrt) und dann geht’s in Richtung Cuzco ab. Zunächst fahren wir oben auf der Altiplano voran und dann beginnen langsam die Steigungen bis wir schließlich am Bahnhof LA RAYA die max. Höhe von 4.319 m erreicht haben. Hier gibt es natürlich wieder nur noch Gras, Flechten, große Lama-Herden und ein paar Indiofrauen, die sie hüten. Je tiefer wir kommen (Cuzco liegt auf 3.354 m, aber zuvor geht es bis auf 2.700 m runter), desto wärmer und vegetationsreicher wird es auch. Wir passieren diverse Dörfer, die natürlich nur aus Lehm­hütten bestehen und wo wieder zig Kinder im Dreck herumspielen, während die Alten Coca-Blätter kauen und Chicha (Maisbier) trinken. Im Zug wird währenddessen stän­dig irgendetwas serviert: Kaffee, Tee, Cola, Bier, Sand­wiches, Pudding und zu Mittag Hähn­chen mit Pommes Frites und Salat (ist uns zu teuer). Leider schaukelt und wackelt es die ganze Zeit so, dass an Lesen, geschweige denn Schreiben, gar nicht zu denken ist. Die letzten drei Stunden fahren wir in einem fruchtbaren Flusstal entlang, wobei ich meistens auf den Stufen der offenen Waggontüre sitze, um besser sehen und fotografieren zu kön­nen, 1½ Stunden bevor wir in Cuzco ankommen, wird der Zug von Schleppern über­schwemmt, die alle hier bereits versuchen, ihre Hotels in Cuzco an den Mann zu bringen. Hauptsächlich sind es ziemlich gute Hotels, aber die Preisdifferenzen sind ganz beträchtlich. Schließlich einigen wir uns mit einem ganz netten Typen auf das Hotel „Del Angel“, wo wir für 10.000 Soles ein Doppelzimmer mit eigenem Bad bekommen.

Stop an einem „Bahnhof“ zwischen Puno und Cuzco [Bild REM]

Kleine Kirche in einem der zahlreichen, namenlosen Dörfer, die wir passieren [Bild REM]

Als es gerade dunkel wird, kommen wir am Bahnhof von CUZCO an und werden per Kleinbus gratis zu unserem Hotel gefahren; dieses ist recht modern und ordentlich, aber die Klobrille steht beispielsweise auch daneben. Vorbei an der beleuchteten Kirche „Compañía de Jesús“ gehen wir über den großen Plaza de Armas und suchen die Calle Procuradores, die uns unser Schlepper als Ort für gute, preiswerte Restaurants empfohlen hatte. Ersteres ist zwar richtig, aber letzteres überhaupt nicht. So essen wir gut, viel und teuer zu Abend. Ein riesiger ge­mischter Salat macht schon fast satt und das anschließend servierte Fleisch mit Nudeln schaffen wir schon nicht mehr. Währenddessen kommen die ganze Zeit 8-12-jährige Jungs ins Lokal, die Zigaretten, Postkarten etc. verkaufen wollen. Aber die Armut hier geht so weit, dass sie nicht nur froh sind, wenn sie ihre Zigaretten (einzeln!) loswerden, son­dern auch, wenn sie den Rest unserer Portionen aufessen dürfen oder in kleine Plastiktüten schieben, um sie mit nach Hause zu nehmen. Wirklich himmelschreiende Zustände! Aber offen­sichtlich wissen sie genau, dass sie in dieser Gasse, in der das „Backpack-Set“ (DuMont) verkehrt, auf mehr Verständnis stoßen als bei ihren Landsleuten oder in den Super-Hotels der Pauschal-Touristen, die es hier natürlich auch gibt. So tun wir mit unserem teuren Essen wenigstens noch ein gutes Werk.

 

Gebäude am Plaza de Armas in Cuzco [Bild REM]

Ebenfalls am riesigen Plaza de Armas (Waffenplatz) [Bild REM]

Iglesia de la Compañía de Jesús (Jesuitendom) am Plaza de Armas in Cuzco [Bild REM]

Erkundung Cuzcos mit „boleto turistico

Donnerstag, 12.04.  Zu unserer großen Überraschung finden wir ein anständiges Lokal, wo wir frühstücken können. Der café con leche wird sogar aus frischer Milch gemacht (Haut)! Im Touris­tenbüro erfahren wir dann (wie es auch im SAH steht), dass wir ein sogenanntes „boleto turistico“ gebrauchen, um die diversen Sehens­würdigkeiten in und um Cuzco besichtigen zu können. Dieses hat den wahnsinnigen Preis von 5 US-$ (= 13.000 Soles). Beim Kauf der teuren Dinger kriegen wir auch noch Ärger, weil sie die vergammelten und geklebten 500-Soles-Scheine, die wir 5 Min. zuvor im Casa de Cambio er­halten haben, nicht akzeptieren wollen. So eine dusselige Kuh, was kann ich dafür, wenn die hier so gammeliges Geld haben, ich zähle und kontrolliere schließlich nicht stapelweise 500 Sole-Scheine! In der Kloster­kirche La Merced wollen wir dann gleich unsere neuen Tickets einsetzen, aber hier gelten sie natürlich nicht! Nicht besser geht es uns anschließend bei San Francisco, wo unser Billet ebenfalls nicht gilt. Aber 200 Soles können wir doch spendieren und besichtigen die Kirche und einen Teil des Klosters. Viele große Bilder hängen hier fast im Freien (im Kreuzgang), und es gibt Gänge mit Knochen an den Wänden. Das Interessanteste ist aber die Art und Weise, wie hier gerade Reparaturen durchgeführt werden. Wahrschein­lich handelt es sich noch um Schäden des großen Erdbebens von 1950, das 90 % von Cuzco zerstörte! Wie in Popayán wird von wackeligen Gerüsten aus der Dreck und Lehm an die Wände ge­schmiert bis es hält!

Zu Mittag gibt es chicharrones mit Mais (Schweinefleisch mit Knochen) und anschlie­ßend nutzen wir unser boleto turistico zu einer ersten interessanten Besichtigung: Die auf Inkaruinen erbaute Kirche Santo Domingo. An dieser Stelle standen zur Zeit der Inkas die Tempel der Sonne, des Mondes und der Sterne sowie das Palais der Prinzen, die aus den bekannten großen Steinen, die die Inkas für alle wichtigen Bauwerke verwandten, erbaut wurden. Die Steine sind riesengroß, aus dem Fels geschlagen und ohne Zement und Mörtel völlig exakt übereinandergestapelt, so dass sie im Gegensatz zu den spanischen Bauwerken sämtliche Erdbeben überstanden haben und noch heute als Fundament nicht nur dieser Kirchenruine, sondern der größten Zahl der Bauwerke Cuzcos, dienen. Zunächst besehen wir alles allein, aber dann erklärt uns ein Führer, der ein sehr schwer ver­ständ­liches Eng­lisch spricht (er ist Indio, wie die meisten Bewohner Cuzcos), alles genau: Ein wirklich ein­drucksvolles Beispiel für den Aufbau der spanisch-peruanischen Kultur auf der der Inkas.

Der Coricancha (Apfeltempel-Goldenes Haus) war das wichtigste dem Sonnengott geweihte Heiligtum zur Zeit der Inkas. Auf diesem Fundament ist heute das Kloster Santo Domingo im Stil der Renaissance errichtet. [Bild REM]

1983 wurde Cuzco in die UNESCO Weltkulturerbeliste aufgenommen.

Hinterher gehen wir durch die zahlreichen, engen Gassen Cuzcos, die – abgesehen von Autos – fast ausschließlich von Indios bevölkert werden. Die Frauen alle in ihren vielen, bunten Röcken mit Bowler und Tragetuch mit Baby, während die Männer meist europäisch gekleidet sind. Sie gehen meist barfuß oder höchstens mit „Pirelli-Schuhen“ (= Schuhe aus Autoreifen) be­kleidet. Ähnlich wie die Kirche Santo Domingo sind fast alle Häuser auf den eindrucksvollen, riesigen Inka-Steinen erbaut, wo­bei die unteren ein bis zwei Meter aus­machen, und darüber geht es dann konisch weiter. Diesbezüglich ist die Calle Loretto am eindrucksvollsten. Sie wird von uns „Schiffer-Gasse“ getauft, weil nach peruanischer Manier ständig Männer und Jungs an die Wände pinkeln bzw. auch Indiofrauen mit ihren vielen Röcken davor hocken, um das Gleiche zu tun.

Typische Straße im historischen Zentrum Cuzcos [Bild REM]

Ganz großartig ist auch der Plaza de Armas, der auf zwei Seiten von Häusern mit Arkaden begrenzt wird. Während sich hinter den Arkaden Geschäfte und Restaurants – haupt­sächlich für die Touristen, die in den Monaten August und September besonders zahlreich kommen – befinden, breiten unter den Bögen abends ab sechs die Indios ihre Decken aus, um Pullover („pura alpaca„), Lederwaren, Schmuck und Kitsch anzubieten, so dass sich abends immer ein interessantes Handeln, An- und Verkaufen etc. ergibt. Nach langem Suchen gehen wir abends wieder in die „Calle de Gringo„, wo wir am Vorabend auch waren. Heute essen wir Pizza – hier übrigens relativ teuer – und werden neben amerikanischen Schlagern aus dem Radio von Musikern unterhalten, die in die Kneipe kommen, um zu spielen und anschließend Geld zu sammeln. Am meisten angetan hat es uns ein Vater mit seinem 4jährigen Sohn und seiner 6jährigen Tochter. Der Kleine kommt zuerst ganz allein und couragiert herein, begrüßt Wirt und Personal per Handschlag, um dann Vater und Schwester – alle mit Poncho etc. – hereinzuholen. Dann kommt die Ansage der Lieder durch den Kleinen, wobei er seinen Vater verschiedentlich fragen muss, wenn er stecken bleibt. Sie singen zwei oder drei Lieder, wobei der Kleine völlig ernst und von sich überzeugt mitmacht und tanzt, und schließlich bedankt er sich und sammelt sein Geld ein. So traurig es auch ist, dass die Kinder so ihr Geld verdienen müssen, ist es doch besser, als Zigaretten verkaufen oder gar zu betteln, denn schließlich hat der Vater so alles unter Kontrolle.

Freitag, 13.04.  Morgens wollen wir zunächst das archäologische Museum besuchen, aber unser boleto turistico gilt wieder nicht, und ich bin nicht bereit, nochmals 5.000 Soles dafür zu bezahlen. Stattdessen besuchen wir das Museum für religiöse Kunst. Hier hängen einige Bilder der weltberühmten Cuzco-Schule, die sich insbe­sondere durch Bilder auszeich­net, die ohne Perspektive ge­zeichnet sind, und zwar hauptsächlich von india­nischen Malern, jedoch ausschließlich mit christlich-religiösen Motiven!

Fast alle Gebäude Cuzcos stehen auf Inka-Fundamenten

Dieses Gebäude ist nicht nur dadurch bemerkenswert, dass hier der Inka-Stein mit den meisten Ecken – nämlich 12 Stück (!) – zu finden ist, sondern auch dadurch, dass der Innenhof mit wunderschönen maurischen Kacheln gearbeitet ist. Er ist also eine Kombi-nation der inkaischen, maurischen und kolonialen Kultur! Steile und enge Gassen hinauf-gehend ge­langen wir in die Wohn­viertel der Cuzceñer und trinken schließlich in einem kombi­nierten Kolonialwarengeschäft/Kneipe eine Inka-Cola (DAS National Getränk Perus). Wieder unten in der Stadt, gehen wir auf den Markt, wo wir Sicherheitsnadeln und Musikkassetten ein­kaufen und dabei Anchie kennenlernen. Mit der Peruanerin, die gut Englisch und etwas Deutsch spricht, gehen wir dann in eine Kneipe zum Essen und während Jürgen etwas Pro­bleme mit dem Magen- und Darmtrakt zu haben scheint, bleiben wir noch dort…

Stein der zwölf Winkel – ein typischer, fugenloser Steinblock aus der Inka-Kultur. [Bild REM]

Auch dieses Kino steht auf Inka-Fundamenten [Bild REM]

Sonnabend, 14. 04.  Nachdem wir jetzt Cuzco etwas kennengelernt haben, wollen wir heute eine Wanderung durch die näheren Inka-Ruinen machen. Per colectivo fahren wir zunächst nach Tampu Machay. Diese 10 km außerhalb von Cuzco in den Bergen gelegene Ruine soll ein Wasserheiligtum oder ein Bad der Inkas gewesen sein. Auf jeden Fall läuft noch heute aus un­erfindlicher Quelle das Wasser durch dieses herrlich gelegene Inka­-Bauwerk. Von hier gehen wir zum nahen Puca Pucaru, das wahrscheinlich ein altes inka­isches Fort darstellt, von dem jedoch – abgesehen von den tollen Mauern – nicht mehr viel zu erkennen ist. Dann wandern wir ein paar Kilometer – glück­licherweise bergab – bis nach Q’enqo, d.h. Labyrinth. Dieses ist ein riesiger Felsen, der von oben bis unten durch-löchert und durchbohrt worden ist und von den Inkas für rituelle Feste und Opferungen genutzt wurde. Die hand­werkliche Leistung ist wirklich beein­druckend; so ist beispielsweise der Opferaltar, der Bo­den da­runter, die Wand dahinter und die Decke darüber aus einem Stück! Hier lernen wir den peruanischen Studenten kennen, der uns alles erklärt und dafür ein Buch (Deutsch für Ausländer) von uns haben möchte. Unser letztes Ziel ist Sacsayhuamán, ein riesiges Festungs­werk der Inkas, das mit Steinen von bis zu 350 Tonnen erbaut worden ist. Es ist bis heute nicht klar, wie die Inkas dieses Werk haben vollbringen können, denn ohne das Rad zu kennen, haben sie diese Steine aus einem Steinbruch hierher transportiert und bearbeitet. Der Eindruck ist wirklich überwältigend!

Die berühmten Ruinen von Sacsayhuamán, außerhalb von Cuzco [Bild REM]

Die fugenlosen Steinmauern in Sacsayhuamán sind beeindruckend!

Die Festung liegt direkt oberhalb Cuzcos, so dass wir einen herrlichen Blick auf die roten Dächer, die vieler Kirchen und den Plaza de Armas haben. Bei der Suche nach einer Ab­kürzung, um in die Stadt zu kommen, stehen wir plötzlich vor einem 3 m hohen Stück, das fast senkrecht nach unten geht. Da die Gräser nicht halten „haut‘s den Bub mit voller Wucht in die Schlucht“ (ich!). Glücklicherweise geht mein Fotoapparat nicht in die Brüche und ich habe auch nur einige Kratzer etc., die allerdings in den nächsten Tagen mein ganzes Pflaster kosten werden, da Jürgen sich sehr nett darum sorgt, dass ich auch immer genug Desinfektionsmittel aufpudere. (Ich wäre doch zu schlampig!)

Blick über Cuzco von Sacsayhuamán aus [Bild REM]

Am Nachmittag gehen wir ins Santa Catalina Kloster, wo wieder viele Bilder der Cuzco-­Schule hängen, das aber ansonsten nicht im Entferntesten ans gleichnamige Kloster in Are­quipa heran­reichen kann, da der größte Teil noch heute bewohnt und benutzt wird. An­schließend erkundigen wir uns nach der Zugverbindung nach Machu Picchu und treffen dann im Hotel wieder zusammen, nachdem Jürgen alle alten Loks inspiziert hat. Am Abend suchen wir uns wieder ein Lokal außerhalb des Gringo-Bereiches. Schließlich finden wir eines, wo wir schlecht essen, aber gut trinken. Wir probieren erstmalig „chilcano„, ein Gemisch aus Pisco, Zitronensprudel (1:1), Zi­tronensaft und Eis, das ebenso gut schmeckt, wie es stark ist. Hui, hui, hui!

Ohne unser wichtiges South American Handbook geht’s nach Chinchero zum Markttag

Sonntag, 15.04.  Heute wird unser erstes diebstahlmäßig dramatisches Erlebnis erfolgen! Bereits um 6 Uhr 30 marschieren wir durch Cuzco, um zur Haltestelle der Busse nach CHINCHERO zu kommen. Von früh-sonntäglicher Ruhe ist jedoch nichts zu spüren, denn am heutigen Palmsonntag ist um diese Zeit der erste Gottesdienst bereits zu Ende (!!) und die vielen Leute gehen mit Palmzweigen „bewaffnet“ über den nach Weihrauch duftenden Plaza de Armas nach Hause. Währenddessen gelangen wir zu der Straße, in der laut Touristenbüro die Busse nach Chinchero abfahren. Aber was dort abfährt, sind natür­lich doch LKW und wir klettern auf einen Pick-up, so dass die Fahrt durch kleine, enge, nicht ver­trauenserweckende Straßen des untouristischen Teils von Cuzco startet. Sei es Faulheit, sei es Leichtsinn, seien es übermäßig positive Erfahrungen, ich lege jedenfalls meine Jute-Tasche (aufgedrucktes Motto: „Ausländerfeindlichkeit Nein Danke“) mitsamt dem South American Handbook auf den Boden des Pick-ups und bitte Jürgen, auch mit darauf zu achten. Wenig später halten wir an einer belebten Stelle an und Jürgen meint noch, einen Schatten ge­sehen zu haben, jedenfalls ist die Tasche incl. SAH verschwunden! Damit ist unsere wich­tigste Informationsquelle zum Teufel und das am Palmsonntag! Die an­deren Leute vom LKW raten uns zwar, sofort abzuspringen und zu suchen, aber ich ver­mute, dass das Buch von einem der Mitfahrenden geklaut worden ist. Wie dem auch sei, mein Buch ist und bleibt verschwunden. Es ist schade drum, aber Pass oder Geld wären viel schlimmer. So fahren wir bei eisiger Kälte und Wind auf dem offenen Wagen die 70 km durch die wunderbare Bergland-Landschaft bis Chinchero.

In diesem kleinen Dorf findet an jedem Sonntag ein Markt statt, der weniger touristisch als jener von Pisaq. sein soll. (Vor vier oder fünf Jahren soll hier noch nicht einmal mit Geld be­zahlt worden sein, sondern es ist lediglich getauscht worden). Jedoch die Hoffnung, so etwas zu erleben schwindet schon, als unser Indio-LKW (wir sind die einzigen Gringos, und die Mit­fahrenden sind dreckig, arm und frieren fürchterlich in ihrer viel zu dünnen Kleidung!) gestoppt wird, und wir unser boleto turistico – zwecks Knipsung – vorweisen müssen! Als wir gegen 8 Uhr ankommen, sind, wir die „zweiteinzigen“ Touristen, und es sind viele „Stände“ mit Obst, Gemüse, Chicha und anderem Indio-Bedarf aufgebaut, während es nur zwei oder drei Stände für Touristen (Pullover, Schmuck, Gewobenes etc.) gibt. Nach einem kurzen Rundgang und einer wärmenden Pause in der Sonne auf dem Kirchplatz, wobei wir auf einer Inka-Mauer sitzen und das bunte Treiben des Marktes beobachten, essen wir einiges Undefinierbare zum Frühstück.

Ortseingang von Chinchero [Bild REM]

Alle angebotenen Waren sind verkaufsfördernd und gut sichtbar am Boden ausgebreitet [Bild REM]

Während­dessen nimmt die Anzahl der einlaufenden Touristen ebenso zu, wie die Anzahl der zu ihrer „Versorgung“ notwendigen „Stände“. Es ist wirklich furchtbar, wie sich eine Großzahl dieser „zivilisierten“ Menschen benimmt, wenn sie – mit einer Kamera und riesigem Tele auf dem Bauch – anderen Menschen begegnen. Auch das geringste Gefühl von Anstand und Scham scheint zu fallen, wenn es darum geht, „gute“ Bilder zu schießen. Nun ja – so „genießen“ wir den Markt, besichtigen ein kleines, nettes Museum, treffen Söhnke (aus Arequipa) wieder, ich werde fast von einem kleinen Schwein überrannt, sehen den Beginn eines Indio-­Gottes­dienstes, wozu sich alle mit grünen Zweigen versehen vor der Kirche aufstellen, um sie dann zu be­treten; ich trinke Chicha, ein Mais-Bier, das mit der Spucke von Indio-Frauen zur Gärung gebracht wird und recht gut schmeckt. Um 11 Uhr machen wir uns auf den Rück­weg und gelangen – unbeklaut – und per Toyota-Bus zurück nach Cuzco.

Anlässlich des Palmsonntags führen die Campesinos Zweige mit sich [Bild REM]

Alle Märkte sind sehr farbenfroh [Bild REM]

Am Nachmittag wird das Wetter schlechter, es regnet manchmal leicht und ist ziemlich kalt. So legen wir einen „Ruhigen“ ein, schreiben Tagebuch und Briefe, um einmal etwas auszuruhen. Schließlich gehen wir früh schlafen, denn am nächsten Tag müssen wir schon bald aufstehen, da wir wieder Größeres geplant haben.

Mit dem Indio-Zug von Cuzco nach Aguas Calientes

Montag, 16.04.  Ungeweckt, aber trotzdem sicher, wachen wir um ½ 5 Uhr auf, packen unsere Sachen und geben den größten Teil davon beim Portier ab. Dieses in der Hoff­nung (mehr bleibt uns nicht), dass er sie gut und sicher zwei Tage für uns verwahrt, denn wir wollen von Cuzco nach Machu Picchu fahren. Kurz nach 5 Uhr sind wir am bereits völlig überfüllten Bahnhof San Pedro. Wider alle Erwartungen kriegt Jürgen (ich bin für Schlangestehen und Drängeln nicht zuständig) die boletos recht schnell. Nach café und pan con queso auf dem bereits belebten Markt starten wir um 6 Uhr mit dem Indio-Zug (nicht für Touristen gedacht!) in Richtung Machu Picchu. Wegen der vielen Warnungen und unserer schlechten Erfahrung vom Vortag sitzen wir förmlich auf unseren Taschen (ich habe mir eine neue – aus einem Plastikzuckersack gefertigte – gekauft).

So erleben wir eine 3½-stündige herrliche Fahrt von Cuzco bis Machu Picchu. Zuerst geht es in Cuzco über fünf Wendestellen ziemlich steil nach oben. Dabei fährt der Zug auf einer anstei­genden Ebene in eine Sackgasse. Nachdem der gesamte Zug die Weiche pas­siert hat, wird diese umgestellt und der Zug fährt retour und kommt dabei auf das Gleis, das weiter nach oben führt. Durch diese Zick-Zack-Fahrerei kommen wir schnell und ohne Ser­pentinen mit dem völlig überfüllten Zug nach oben und damit aus Cuzco her­aus.

Mit dem Zug von Cuzco nach Aguas Calientes [Bild REM]

Während­dessen wird der Zug, der in den Gängen auch bereits von Reisenden besetzt ist, ständig von Händlern gestürmt, die alles Menschenmögliche anbieten, das der Verpflegung dienen kann: Kaffee, Kuchen, Brot, Sandwiches, choclos con queso (Maiskolben mit Käse), gaseosas (Sprudel), Obst und diverse weitere Sachen. Es ist wirklich einmalig wie sie – meist Frauen und Kinder – über die zig Säcke, Kisten, Tüten, Taschen, Menschen usw. ‚rüberbalancieren , um ihre Waren anzubieten. Auf jeden Fall ist die Verpflegungs­situation sehr gut.

In dem nicht für Touristen gedachten Zug geht es sehr lebhaft und volksnah zu! [Bild REM]

Währenddessen fährt der Zug langsam, aber stetig in Richtung Machu Picchu, d.h. bergab, weiter. An jeder Station steigen mehr Leute ein und man kann sich kaum noch bewegen. Anfangs waren wir noch an die Türen vorgegangen, hatten sie geöffnet, um auf den Stufen stehend Bilder zu machen. Aber daran ist gar nicht mehr zu denken. Uns ge­gen­über sitzt ein junges Paar, das schon zwei Kinder hat. Alle halbe Stunde kriegt das Jüngere (schon gut über ein Jahr alt!) von der Mutter Brust und ist dann ganz zufrieden. Während das Kind an der einen Brust saugt, krault es die andere unter dem Pullover ganz lieb. Während wir dieses alles im Zug beobachten, läuft draußen ein toller Film ab mit dem Thema „Berglandschaft“. Da wir immer niedriger kommen, wird es wärmer und die Vege­tation üppiger. Wir fahren meist am Rio Urubamba entlang, so dass links der wild strömende Fluss und rechts die steil aufsteigenden Berge zu sehen sind: Wirklich eine einmalige Fahrt! Da wir schon eine Station vor Machu Picchu, nämlich in AGUAS CALIENTES aussteigen wollen, beginnen wir uns zu erkundigen, wann wir wohl dort sind. Da keiner ganz genau Bescheid weiß, steigen wir dann letztlich eine Station zu früh aus. Glücklicherweise ruft man es uns aber noch rechtzeitig zu. Jedoch ist an ein Wiedereinsteigen gar nicht zu denken (wir sind ja im Indio-Zug und nicht im Touristenzug, der das Fünffache kostet). So fahren wir die letzten 5 km auf dem Trittbrett, wo bereits drei andere stehen. Wenn die Felsen zu nahekommen, muss man sich etwas heranziehen; wir durchfahren auch einen Mini-Wasserfall, kommen aber auf jeden Fall gut behalten in Aguas Calientes an.

Ankunft in Aguas Calientes [Bild REM]

Wir treffen Wolfgang aus Puno in Aguas Calientes wieder

Das Dorf besteht eigentlich ausschließlich aus den Häusern (hauptsächlich Restau­rants), die entlang der Bahnlinie stehen. Außerdem gibt es noch ein paar weitere in einem beginnenden Tal, wo es dann zu den warmen Bädern (daher der Ortsname) geht. An­sonsten gehen überall steil die grünen Berge nach oben und dazwischen fließt der Urubamba. Und hinter einem dieser Berge liegt auch der berühmte Machu Picchu! Außer der Jugendherberge für 4.000 Sole wird uns von einem Amerikaner ein Hotel für 2.500 Sole angeboten, das wir dann auch nehmen. Über einen schmalen Weg, vorbei an einem im Dreck wühlenden, kleinen Schwein geht es zu seiner sehr improvisierten Behausung, wo wir ein sauberes, feuchtes Zimmer bekommen. In dem gesamten Ort gibt es übrigens keine Autos – einfach, weil keine Straße hinführt – und die einzige Verbindung zur Außen-welt ist die Eisenbahn, die zweimal täglich von Cuzco kommt und zweimal täglich dorthin fährt.

Aguas Calientes am Rio Urubamba [Bild REM]

Als erstes gehen wir 1½ km auf den Gleisen bis zur Station Machu Picchu, um uns dort zu erkundigen, wann und wie man von dort aus die 700 m Höhendifferenz bis zu den Ruinen überwinden kann (ab 8 Uhr gibt es einen Bus, der einfach 3000 Soles kostet). Bei ziemlicher Wärme gehen wir zurück nach Aguas Calientes, ge­nießen zu Mittag Bier und Tortilla, um anschließend eine Mittag­stunde zu machen. Dann laufen wir zur „Badeanstalt“. Diese besteht aus zwei Bädern, einem heißen und einem sehr warmem, sowie aus einem eiskalten Wildbach. Das Wasser ist sehr schmuddelig und 40ºC heiß (für mich unmöglich); in das etwas kühlere Bad kann ich mich aber hineintrauen und zwischen diesem und dem Bach pendelnd, verbringen wir den Nachmittag im Bad. Wieder im Dorf, nehmen wir gleich am wichtigsten, nachmittäglichen Ereignis in diesem Dorf teil: Es fährt der Zug ein! Ähnlich wie die Einhei­mischen, die dafür alle zusammenkommen, suchen auch wir nach Bekannten im Zug und finden auch einen: Den Münchner Wolfgang, den wir schon aus Puno kennen, und der sich dann auch in unserem Hotel einquartiert. [Er wird viele Jahre später das ReiseMagazin „ReiseFreak“ gründen und mit viel Verve erfolgreich führen!]

Unser Marsch führt lange über diese Gleisen [Bild REM]

Mit ihm zusammen und Doris, die wir ebenfalls aus Puno kennen, gehen wir abends in einem der vielen „Bahnhofsrestaurants“ essen. Dazu gesellt sich dann noch ein älterer Herr, der sich als Gerhard vorstellt. Daraufhin wird er von uns allen geduzt, während er uns siezt – sehr lustig. Er erzählt ganz interessant von Lima und Iquitos. Die Nacht verbringen wir dann gut, in freudiger Erwartung des Machu Picchu, in unseren sauberen Betten.

Wie werden wir den berühmten Machu Picchu erleben?

Dienstag, 17.04.  In der Nacht hat es bereits ewig geregnet und jetzt hängt der Nebel bis fast unten im Dorf: Wir sind begeistert vom Wetter! Aber anstatt besser zu werden, be­ginnt es wieder zu regnen, während wir ein gutes, teures, amerikanisches Frühstück zu uns nehmen. So verschieben wir unsere geplante Abmarschzeit etwas und kommen erst gegen 8:50 Uhr los. An der Bahnstation MACHU PICCHU ist dann natürlich schon der Bus weg und der nächste fährt erst um 10:30 Uhr, wenn der Touristenzug ankommt. So marschieren wir dann zu dritt – Wolfgang, Jürgen und ich – los. Zunächst die Serpentinenstrecke, die die Busse fahren und dann durchs nasse Gebüsch über eine „sehr rustikale“, treppenartige Kon­struktion, über die man ziemlich gerade nach oben gelangt. Den Vorteil der kurzen Weg­­strecke erkaufen wir uns jedoch mit der anstrengenden Steilheit. Zusätzlich beginnt es wieder zu regnen, und ich schwitze so, dass meine Brille ständig beschlagen ist. So können wir diesen Marsch fast als Ersatz für den Inca-Trail betrachten, der uns leider entgangen ist.

Unser Fußweg nach Machu Picchu hinauf, da kein Bus verfügbar ist [Bild REM]

Nach einer Stunde kommen wir oben an und können zunächst das „herrliche“ Hotel nebst Selbstbedienungsrestaurant genießen. Trotz ziemlicher Kälte und pitschnasser Klamotten verzichte ich auf einen warmen Kaffee, da er mir bei diesem Preis (das Dreifache des normalen!!) sowieso nicht bekommen würde. Ziemlich frierend, kaufen wir uns dann für 5000 Soles die Studenten-Eintrittskarten und dürfen dann den Machu Picchu genießen. Ob das Erwartete zu groß, das Gebotene zu gering oder sogar beides der Fall ist, weiß ich nicht; auf jeden Fall gefähr­den die Wellen unserer Begeisterung die Ruinen nicht. Da sich der Eingang ziemlich weit unten befindet, ist der Blick von hier nicht so toll. So durchstreifen wir zu­nächst die Ruinen, die bei uns etwas den Eindruck erwecken, nicht ganz authentisch zu sein! Dieses hat zwei Gründe, zunächst erscheint es uns merkwürdig, dass Pizarros Leute seinerzeit die Stadt vom Urubamba aus nicht haben sehen können, denn das ist heute möglich, und dieses ist ja der Grund dafür, dass der Machu Picchu nicht zerstört wurde und erst 1911 von Bingham entdeckt wurde. Zum anderen ist auch die Wuchtigkeit und Präzision der Steine und Mauern von Cuzco, Sacsayhuaman etc. hier nicht wiederzufinden. Das gibt uns zumin­dest zu denken!

Der Rio Urubamba fließt weit unter uns im Tal [Bild REM]

Im Gegensatz zu dieser Enttäuschung ist jedoch die landschaft­liche Lage um ein viel­faches schöner, als sie aus Fotos und Beschreibungen je hervorging und hervorgehen wird. In einem rie­sigen Bogen durchfließt der Urubamba die steilen, grünen Berge und damit auch das Plateau, auf dem Machu Picchu liegt. Das Bild erinnert fast an eine scharfe Mosel­kehre, nur dass die Berge höher, der Bewuchs wilder und das Tal tiefer ist. Durch viele Häuser, Steinhaufen und Ruinen, von denen sich einige offensichtlich noch in der Konstruktionsphase befinden (!!), kommt wir am Zuckerhut (Huayna Picchu) vorbei und über den Marktplatz langsam zum Hauptheiligtum der Stadt (wie man annimmt). Hier beobachten wir das unmögliche Benehmen der hauptsächlich peruanischen und US-amerikanischen Besucher. Auf dem heiligen Felsen drapieren sich Paare fast wie auf einer Vögel-Wiese, lassen dort ihre Fuji-Filmpackungen liegen und schmeißen mein kurzzeitig abgelegtes Brot in den Dreck! Hier ist es mit den Touristen wirklich schlimm. Wir gelangen von hier aus immer höher und mit der durch die Wolken kommenden Sonne steigt nicht nur unsere Laune und trock­nen auch unsere Klamotten, sondern der Blick auf die versunkene Urwald­stadt wird immer schöner und entspricht mehr und mehr unseren Erwartungen und Vorstellungen. Ganz oben haben wir dann das berühmte Poster- und Postkartenmotiv des Machu Picchu vor uns, und das ist wirklich ein bedeutender Moment, den wir trocken und im Gras sitzend verbringen, um ihn ge­büh­rend genießen zu können.

„Unser“ Blick auf die Ruinen von Machu Picchu [Bild REM]

Innerhalb der Ruinen gibt es immer wieder herrliche Szenen [Bild REM]

Rückweg über einen kleinen Teil des Inca-Trails

Bald müssen wir uns jedoch schon auf den Weg machen (nur Jürgen und ich), denn wir wollen nicht nur die nahe Inka-Brücke sehen, sondern auch einen Teil des Inka-Trails rückwärts begehen. Der Weg zur Inka-Brücke und diese selbst sind tolle Konstruktionen, die erahnen lassen, wie seinerzeit in diesem radlosen Reich alle Verbindungen ausgesehen haben müssen. Dann begeben wir uns auf den Inka-Trail. Bei ziemlicher Sonne und Wärme geht’s zunächst recht steil bergauf (Schweiß!), und man hat nochmals einen tollen Blick auf Machu Picchu! Über die Passstelle hinweg wird’s dann schattig und kühl, aber die Vegetation ist wirklich einmalig: Riesige Farne, Blätter, umgeknickte Bäume, feuchte Matsche – eben Dschungel. Hier hindurch führt der Inka-Pfad, der teilweise noch von den Inkas sauber gepflastert ist, teil­weise durch Baumstämme abgestützt wird und teilweise so mat­schig und nass ist, dass der Dreck oben in meine Schuhe ‚rein­geht. So gehen wir fast zwei Stunden am Berg entlang, jedoch ziemlich in konstanter Höhe.

Ein kleiner Teil des berühmt-berüchtigten Inca-Trails, den wir begehen [Bild REM]

Herrliche Blicke auf den Rio Urubamba gibt es immer wieder [Bild REM]

Ab Wayña Wana geht’s dann sehr steil und steinig bergab (hier verlassen wir den Inka­-Pfad), wobei wir noch mit Indio-Arbei­tern um die Wette laufen. Endlich unten am Urubamba angekommen, müssen wir über eine wackelige Hängebrücke, beobachten den Bau eines Stollens für ein Kraftwerk und gehen dann vier Kilo­meter auf den Schienen entlang. Dieses ist das widerlichste und unangenehmste Stück, das uns ganz schwindelig macht, denn man muss ständig auf die Füße gucken, weil die Schwellen keine gleichmäßigen Abstände haben. Gerade mit Beginn der Dunkelheit kom­men wir dann in Aguas Calientes an, wo Wolfgang auch gerade eingetroffen ist.

Zusammen gehen wir dann im Dunkeln zum Baden, obwohl wir ziem­lich fertig sind. Aber das heiße Wasser tut uns sehr gut. Anschließend gehen wir essen und insbesondere Chilcano (dem Gemisch aus Pisco, und Zitronensprudel, das wir vor ein paar Tagen in Cuzco kenngelernt haben) trinken. Dabei findet um 22 Uhr ein ganz besonderes Ereignis statt, das das ganze Dorf auf die Straße treibt: Es kommt ein außerplanmäßiger Zug! Na, hier ist ja was los! Des Rätsels Lösung: Irgendwo hat es einen Erdrutsch gegeben, weswegen der Zug ein paar Stunden aufgehalten wurde. Anschließend können wir dann in Ruhe weiter trinken! Nachdem Wolf­gang und Jürgen aufgegeben haben, diskutiere ich (soweit mein Spanisch das zulässt!) mit dem Ober und Wirt über die inkaische und spanische Kultur – sehr fruchtbringend. Als letzter Gast darf ich dann mit ihnen in hohem Bogen auf die Schienen pinkelnd (ur­peru­anisch!) den Abend beenden!

Mittwoch, 18.04.  Nach gutem Frühstück in einem Bahnhofsrestau­rant kommt auf die Minute pünktlich unser Zug. Karten habe ich bereits gekauft und da bisher jeder für die-selbe Strecke einen anderen Preis bezahlt hat, gelingt es mir, den geforderten Preis noch etwas zu senken. Obwohl es für die Rückfahrt keine reservierten Plätze gibt, kriegen wir einen Sitzplatz und fahren ca. 2 Stunden zurück bis nach OLLANTAYTAMBO. An diesem sehr schönen Ort besehen wir einige Inkaruinen (natürlich mit boleto turistico!), aber am interes­santesten ist das Wasserverteilungssystem (wahrscheinlich noch inkaisch!): Überall fließen offene, gemauerte Bäche mit sauberem Wasser. Durch Einlegen von Steinen wird das Wasser in Häuser geleitet, sofern hier ein Bedarf besteht. Ein großartiges System, das aber ein recht soziales Verhalten voraussetzt. Beeindruckend ist auch die alte, sehr herunter­ge­kommene, aber mit Liebe und wohl ohne viel Geld erhaltene Kirche. Die Häuser sind haupt­­sächlich aus Inka-Mauern und stehen sehr eng zusammen, so ähnlich wie hier muss wohl früher eine Stadt der Inkas ausgesehen haben. Hier gefällt’s mir extrem gut, zumal auch keinerlei Touristen – außer uns – da sind.

Das uralte Wasserverteilungssystem in Ollantaytambo führt auch mitten durch den Ort [Bild REM]

Hier ist es sehr rustikal und fast touristenfrei [Bild REM]

Nach einem guten Essen in einem fliegenverseuchten Lokal fahren wir per Bus nach Pisaq weiter. Jedoch läuft’s mal wieder nicht so wie geplant. Nach einer schönen Fahrt mit dem uralten Bus, wobei er zeitweise überfüllt, zeitweise fast leer ist, bricht er 5 km hinter CALCA zusammen. Eine Reparatur scheint nicht zu klappen, alle ankommenden Busse sind überfüllt, und so müssen wir zurück nach Calca, um hier an der Endstation einen neuen Bus zu besteigen. Dorthin nimmt uns dann auch ein Pick-up für 200 Soles mit. Da es schon spät ist, verzichten wir auf Pisaq und fahren direkt bis CUZCO durch. In unserem Hotel krie­gen wir wieder ein Zimmer und die Rucksäcke sind auch noch unberührt da! So können wir dann die vorerst letzte Nacht im Bett ver­bringen, da uns die nächsten Tage wiederum etwas Größeres bevorsteht!

Welchen Herausforderungen werden wir auf der 53-Stunden-Fahrt über den Altiplano begegnen?

Donnerstag, 19.04.  Wir werden pünktlich um ½ 6 Uhr geweckt, packen unsere Ruck­säcke besonders gut und gehen dann zum Ormeño-Büro, um die Fahrt nach Lima an­zu­treten. Diese 1160 km lange Fahrt per Bus, quer über den Altiplano soll angeblich 40 Stunden dauern, wir rechnen jedoch mit mehr. Trotz der frühen Zeit ist im Büro schon einiges los, und auch die Diebe scheinen nicht mehr zu schlafen! Innerhalb von einer knappen Stunde wer­den drei Taschen gestohlen! Aber wir passen gut genug auf unsere Sachen auf. Diesen Burschen wird ihre „Arbeit“ dadurch erleichtert, dass der Bus nicht zum Büro am Plaza de Armas kommen darf – dieses ist eine archäologische Zone und für Busse gesperrt – sondern woanders steht, wohin wir und das Gepäck erst per PKW gebracht werden müssen. Der ziemlich lädiert aussehende Bus steht dann auch genau in der Straße, wo es nach Chin­chero losging und mein schönes Buch geklaut wurde! Der Taxifahrer warnt uns auch gleich, wir sollten hier ja aufpassen, es würde hier wahn­sinnig viel gestohlen! Das ist ja sehr be­ruhi­gend! Während Jürgen noch fehlt (er kümmert sich um eine Holländerin, deren Tasche bereits weg ist), beobachte ich die Verstauung des Gepäckes auf dem Busdach. Dabei geht es ziemlich chaotisch zu – die Rucksäcke werden betrampelt und unmöglich hingelegt (in meinem ist auch der Fotoapparat, da ich keinen Film mehr habe) – aber schließlich werden sie mit Netzen und Planen gut gesichert. So wird’s hoffentlich halten. Schließlich kommt Jürgen auch und wir können unsere tollen Plätze – erste Reihe, gleich hinter dem Fahrer, mit Platz für die Beine – einnehmen. Mit einer Stunde Verspätung starten wir dann um 8 Uhr.

Eines der ersten Dörfer [Bild REM]

Zunächst geht es noch auf asphaltierter Straße los, und wir müssen schon ziemlich bald das erste Mal aussteigen, um unsere Pässe registrieren zu lassen. Bald ist aber die gute Straße zu Ende, und wir fahren auf der Schotterpiste weiter, die wir die nächsten zwei oder drei Tage nicht verlassen werden. Etwas Ärger gibt es dann mit einem Mann, der in einem Dorf noch in den vollen Bus einsteigen will und auch eine Karte für einen reservierten Platz hat, der jetzt natürlich besetzt ist. So kriegt er 15.000 Soles (von 44.000) zurück und muss zunächst auf dem Motor Platz nehmen. Der Bus ist nämlich so voll, dass auch Leute stehen bzw. zu dritt auf zwei Plätzen sitzen! Aber diese werden nicht ganz bis Lima fahren. Nach 3 ½ Stunden Fahrt haben wir einen Platten (Nummer 1), den die beiden Fahrer und der boy dann auswechseln, während wir essen. Bei der Reparatur geht es natürlich wieder unmöglich zu, denn wir haben keinen Wagenheber dabei! Der Bus wird mit Karacho auf einen Baumstamm gefahren und mit einer Spitzhacke noch Dreck unter dem Reifen entfernt, um eine ausreichende Höhendifferenz zu schaffen. So klappt das Wechseln an sich ganz gut, nur hinter­her kriegen sie den Bus nicht mehr von dem Stamm ‚runter. So wird’s mit allen Tricks versucht: Keile unter das Rad hauen, Lumpen drunterschieben, alle Mann an­schie­ben, vorwärts und rückwärts fahren, mit langen Ästen von hinten hebeln, aber der Bus ist nicht fortzubringen! Aber nach einer Stunde – Jürgen hat schon ein Bier getrunken – sind wir schließlich erfolgreich, indem von der Seite unter das neue Rad gehebelt wird und so kann die Fahrt endlich weitergehen. Übrigens ist der „neue“ Reifen extrem schlecht, es fehlen sogar ganze Stücke im Mantel – so ist der nächste Platte schon vorprogrammiert!

Wir passieren eine kleine Ortschaft auf dem Altiplano [Bild REM]

5000 m hoch, 6 Reifenpannen und wenig zu essen!

Wir fahren weiter über die Berge, kommen durch kleine Dörfer, die ausschließlich aus Lehmhäusern bestehen und sehr arm sind, sehen Kuh- und Schafherden usw. Dann geht’s ziemlich lange bergab, wird dabei immer wärmer und schließlich fahren wir über eine Brücke, lassen dort zum x-ten Male die Pässe kontrollieren (jetzt geht immer nur noch einer von uns mit beiden Ausweisen ‚raus!) und dann wird wieder ganz nach oben gegurkt! Schließlich kom­men wir um 18 Uhr in ABANCAY an, der ersten stadtähnlichen Ansiedlung. Wir essen dort schnell und schlecht zu Abend und lernen langsam die anderen Mitfahrenden kennen: Ute und Maike aus Berlin, ein Paar aus Neuseeland, wobei sie dick, geizig und lustig ist und er lang und dünn, ein Schweizer Paar, das fürchterlich lang­sam spricht, ein Paar aus Israel, das sich unmöglicherweise immer über die Musik im Bus beschwert und noch einige andere. Dann lassen wir den inzwischen geflickten, ursprünglichen Reifen wieder montieren und die Fahrt geht im Dunkeln weiter. Aber nach ½ Stunde Fahrt haben wir den nächsten Platten (Nummer 2) und fahren wieder zurück nach Abancay, um es dort machen zu lassen. Aber die Hilfe in der Werkstatt ist – nachts und im Regen – minimal, so dass unsere Fahrer fast alles selbst machen müssen. Sicherheitshalber bauen sie auch gleich auf der anderen Seite (immer hinten) das Rad ab und flicken es (Nummer 3). So haben wir hier vier Stunden Auf­enthalt, es gibt jedoch keine Kneipe und nichts, wohin man gehen könnte. Gleichzeitig wird das Schlafen von einer fürchterlichen Sabbeltante verhindert, die ihre Klappe nicht zukriegt – widerlich!

Freitag, 20.04.  Schließlich starten wir nachts um ½ 1 Uhr erneut und fahren tatsächlich die ganze Nacht durch. Die zwei Fahrer sind ziemlich unterschiedlich, während der jüngere (von uns „Claro“ genannt, weil er das ständig sagt) mit ziemlich viel körperlichem Einsatz bei den Reifenwechseln etc. dabei ist, jedoch nicht so viel fährt, ist der andere „El Jefe“ mehr mit dem Mund dabei, fährt aber sehr gut und sicher. Letzterer fährt auch jetzt, allerdings unter Protest einiger Fahrgäste („despacio„), weil er – während die anderen die Reifen gewechselt haben – wohl ein bisschen zu viel getrunken hat. Trotzdem fährt er auf der schmalen, schlech­­ten Straße sehr sicher und gut, denn er scheint sie wie seine Westentasche zu kennen. Sicher­heitshalber beobachte ich es die erste Stunde noch. Aber dann kann ich mich partout nicht mehr wachhalten und schlafe ein, während er fährt und fährt – das ist wirklich bewundernswert.

Wenige Ortschaften mit sehr wenigen Einwohnern [Bild REM]

Gegen 6 Uhr halten wir an einer Kneipe, können uns dort etwas waschen und früh­stücken auch. Dann fährt „Claro“ weiter, während sich „El Jefe“ ausgestreckt auf zwei Ses­sel legt und sich aus­ruht. Wir sind jetzt wieder sehr hoch in den Bergen, nach Anga­ben des Fahrers 5.000 müM, und wir sehen nicht nur sehr große Lama– und Alpaca-Herden, son­dern auch Vicuñas. Diese Vicuñas sind auch kamelartige Tiere (wie Lamas), jedoch sind sie sehr selten und stehen unter absolutem Tierschutz. Die „Straße“ wird ganz extrem schlecht und die Hauptaufgabe des Fahrers besteht darin, die Spur mit den wenigsten Löchern zu suchen. Zum Mittag halten wir in einem kleinen, dreckigen Dorf, wo wir in einer Lehmhütte Forelle essen, jetzt jedoch zwei Stück, da sie besonders klein sind. Anschließend wird mal wieder der Reifen gewechselt, denn es handelt sich immer um denselben (Nummer 4). Die weitere Straße wird nicht besser, jedoch kommen wir ganz langsam wieder in niedrigere Gebiete. Allerdings türmt sich hinter jeder überfahrenen Bergkette wieder eine neue auf, und mit Flachland, und Küste ist noch lange nicht zu rechnen. Gegen 18 Uhr kommen wir in PIUQUI an, wo aber fast alles geschlossen ist (heute ist Karfreitag!). Es muss natürlich wieder ein Reifen gewechselt werden (Nummer 5), aber laut „El Jefe“ haben wir währenddessen nicht die Zeit, um zu essen. Während sie mit dem Bus zum Flicken fahren, kaufen wir Brötchen und falschen Thunfisch (Sardinen), die wir in einem Lokal essen, um den schlimmsten Hunger zu stillen. Da sie immer noch nicht vom Wechseln wieder­kommen, kaufen wir uns mit den Berlinern zusammen ein paar Flachmänner mit Cognac (sehr mild). Dann geht es endlich weiter (wir hätten natürlich genug Zeit zum Essen gehabt). Bei der Ab­fahrt sehen wir noch von oben eine mit Kerzen ausgestattete Karfreitagsprozession, wovon es hier viele gibt – schade, dass wir jetzt per Bus unterwegs sind.

Die wenigen Behausungen, die wir sehen, sind extrem einfach [Bild REM]

El Jefe“ fährt uns wieder sicher über schmalste Straßen durch die Nacht. Aber der Reifen scheint wieder nicht in Ordnung zu sein, denn von einem entgegenkommenden Ormeño-Bus lassen wir ihn uns aufblasen (unser Schlauch ist zu kurz).

Sonnabend, 21.04.  Schließlich kommen wir um 3 Uhr in NAZCA, in der Ebene der Küste an und was wird dort gemacht? Richtig, der Reifen geflickt (Nummer 6). Dann suchen wir ein Lokal, wo wir zu dieser nachtschlafenden Zeit wenigstens noch eine Hühner­suppe kriegen können. Die angekündigten 40 Stunden sind schon lange überschritten, und wir haben noch ca. 400 km bis Lima vor uns, allerdings in der Ebene und auf guter Straße (Pan­americana). Auf der uns bekannten Strecke fahren wir dann mit – relativ flottem Tempo weiter und kommen um 13:00 Uhr in LIMA an. So haben wir für die 1160 km Anden 53 Stunden gebraucht, das sind 22 km/h im Durchschnitt, bzw. abzüglich der 12 Stunden Reparatur und Fresszeit 29 km/h!

In Lima lassen wir uns per Taxi zum Plaza de Armas fahren, der zu weit weg ist, um zu Fuss zu gehen. Von unserem VW-Käfer-Taxi aus können wir schon herrlich das Verkehrsgewühl dieser 5-Mio-Metropole beobachten: kreuz und quer fahrende Autos, springende Fuß­gänger, Gehupe, und was immer dazugehören mag. Vom Plaza de Armas aus gehen wir fünf Minuten per pedes zu einem Hotel, das Söhnke uns empfohlen hatte (Av. Emanci­pación 182, 8. Stock, Hostal Samaniego, 5000 Soles à Person). Dabei kommen wir durch die mit marmorähnlichen Steinen gepflasterte Fußgänger­zone, die nicht nur von vielen Geschäften gesäumt und Kunden begangen wird, sondern von fast ebenso vielen Wächtern in Uniform bewacht wird. An jeder Ecke stehen mindestens drei von ihnen. Unser erster Gang hat das Avianca-Büro zum Ziel, um Jürgens Rückflug rückbestätigen zu lassen. Es ist jedoch erwartungsgemäß am Oster­sonntagnachmittag geschlossen.

Ein pompöser Wachwechsel am Präsidentenpalast von Lima [Bild REM]

Nach dem Mittagessen (teuer und schlecht) gehen wir zum Bahnhof, um uns nach einem Zug nach La Oroya zu erkundigen. Wir sind nicht schlecht erstaunt, als uns ein paar hilfsbereite Polizisten (oder wer immer den Bahnhof bewacht) erzählen, daß tatsächlich ein Zug fährt. Denn überall hatte es geheißen, der Zug führe schon seit Monaten nicht mehr, weil der Regen Brücken weggespült habe. Aber wir haben das unverschämte Glück, dass die Strecke seit sechs Tagen wieder befahrbar ist, und dass außerdem am morgigen Sonntag – an dem eigentlich kein Bahnbetrieb ist – ein Zug fährt. Das ist ja super! So haben wir schon ein Programm für morgen. Anschließend gehen wir zur Post, wo ich gleich fünf Briefe in Empfang nehmen kann. Über diese Geburtstagspost – die alle rechtzeitig da war – freue ich mich sehr, wenngleich ich sie auch erst mit zwei Wochen Verspätung abhole. Den späten Nachmittag verbringen wir auf dem Markt, der um die Post herum angesiedelt ist und gehen dann früh schlafen, weil wir unsere Zug-Tickets schon um 6 Uhr morgens kaufen müssen.

Per Zug von Lima auf Meereshöhe nach La Oroya auf 4.781 müM

Sonntag, 22.04. Ohne irgendwelches Anstehen oder andere Mätzchen kriegen wir gleich unsere Boletos für den 1.-Klasse-Waggon des Zuges nach La Oroya. So haben wir noch über 1½ Stunden Zeit bis zur Abfahrt des Zuges. Aber natürlich gibt’s zunächst wieder nirgends Frühstück. So trinken wir an einem Wagen „mate„, heißes Kräuterwasser mit verschiedenen Sirup-Arten. Aber später finden wir doch noch ein kleines Lokal und können gestärkt starten. Das Tolle an dieser „höchsten Normalspureisenbahn der Welt“ ist die Tatsache, dass sie auf einer Strecke von nur 173 km eine Höhendifferenz von 4.700 m zu bewältigen in der Lage ist. Im gepolsterten Buffet-Wagen (noch besser als 1. Klasse) geht’s um 7:40 Uhr los und wir verlassen Lima entlang des Rio Rimac.

Dieser Zug wird uns in knapp 6 Stunden bis auf 4781 m Meereshöhe bringen! [Bild REM]

Die erste Stunde geht es noch relativ niveaugleich in Richtung auf die Anden zu, aber dann beginnen die Steigungen, die man zu­nächst gar nicht so sehr spürt. Nach einer Stun­de ist man schon auf 859 m (nach 1½ h auf 1.513 m und dann geht es Schlag auf Schlag wei­ter: Nach 3 h auf 3.008 m). Nach 4½ Stunden erreichen wir 4.154 m und schließlich sind wir um 13:03 Uhr auf der sagenhaften Höhe von 4.781 m angelangt, es ist der Bahnhof LA GALERA.  Zuvor musste der Zug an 15 Wendestellen immer hin- und herrangieren (wie in Cuzco), um im Zick-Zack die Stei­gungen schaffen zu können. Während­­dessen standen wir immer draußen auf dem Trittbrett oder im letzten Waggon – der während der Schiebe­phasen ja der erste ist – um die tolle Aussicht auf Berg, Tal, Fluss, Dörfer usw. ein letztes Mal genießen zu können. In Chicla (3.733 m) kommt der „Arzt“ (Opa in weißem Kittel) in den Zug. Er hat eine „Tüte Sauerstoff“ dabei, um den Leuten zu helfen, die Probleme mit der Höhe bekommen (bei uns nur ein Kind). Außerdem haben wir 60 Tunnels durchfahren!

Hier die genaue Aufstellung der Bahnhöfe, Höhen usw.:

UhrzeitBahnhofHöheAnz. der TunnelsWendestellen
07:40Lima   150 m
08:00St. Clara   173 m
08:38Chosica   859 m
09:19Bartolomae1.513 m2
10:22Matucana2.389 m91
10:53Tamboraqui3.008 m152
11:10San Mateo3.215 m52
11:31Rio Blanco3.503 m92
11:42Chicla3.733 m62
12:10Casapalca4.154 m62
12:56Ticlio4.758 m74
13:03La Galera4.781 m1

 

Weiter unten, vielleicht auf 2000 m Höhe kommen wir an der Stelle vorbei, wo die reparierte Eisenbahnbrücke über den Fluss geht, jedoch die Straßenbrücke noch fehlt. So müssen die Autos – was wir gut beobachten können – durch das Wasser fahren. Während einige mit Schwung gut durchkommen, haben andere Schwierigkeiten und einer sitzt sogar ganz fest, und die Leute klettern schon auf’s Dach. Aber diese Stelle werden wir später noch viel genauer kennenlernen!

Die bereits 1870 erbaute Eisenbahnlinie ist wirklich eine technische Wunderleistung. Es geht durch lange Tunnels, danach gleich auf eine Brücke, über einen tiefen Abgrund, an­schließend folgt eine Wendestelle und es geht schiebend weiter. Wirklich eine einmalige Fahrt! Der Hauptgrund für den Bau war und ist die Tatsache, dass es hier oben viele Minen gibt, in denen Gold, Silber, Kupfer, Mineralien und andere Bodenschätze abgebaut werden. Teilweise werden sie hier oben gleich verarbeitet und z.T. werden auch nur die Erze per Bahn nach unten gefahren. Auf jeden Fall sehen wir viele beladene Waggons mit Metall­blöcken. Auch kommen wir an den Siedlungen vorbei, in den die Mineros hausen: Num­merierte, bunte Mietswohnungen, die hier aus dem Boden gestampft sind. Sicherlich keine tollen Behausungen, aber doch besser als die ansonsten üblichen Lehmhütten.

Sechs Stunden Staubewältigung auf peruanisch!

Um 14 Uhr kommen wir in der Minero-Stadt LA OROYA an, die aber abgesehen von ihrer Höhe von ca. 4.500 müM keinerlei Reize bietet. So suchen wir uns gleich einen Mini-Bus, der uns schnell die 180 km nach Lima zurückbringen soll, der dafür aber auch 15.000 Soles je Person (Eisenbahn 7.500 Soles) verlangt. Zuerst müssen wir zweimal anhalten, um einen schlappen Reifen aufzu­pumpen. Dann muss er doch geflickt werden, was natürlich ent­sprechend Zeit kostet, aber ja nicht weiter schlimm ist. Drama­tisch wird es erst etwas weiter, als wir uns der Stelle nähern, wo die Straßenbrücke über den Fluss fehlt. Der Gerhard in Aguas Calientes hatte uns schon von chaotischen Zuständen erzählte, aber dass es so schlimm würde, hätten wir nicht gedacht! Um 18.30 kommen wir ans Stauende und können die nächsten sechs (!!!) Stunden beobachten, wie eine Staubewältigung auf peruanisch aussieht: Ständiges Überholen, Abdrängen, Einscheren, zu viert auf zwei-spuriger Straße fahren, Hupen, Grünstreifen benutzen, keinen ‚reinlassen etc. etc. Es ist wirklich sagenhaft, wie hier um jeden Meter gekämpft wird. Die Dummen sind dabei die LKW’s und Busse, die sich als Revanche querstellen, um keinen durch­zulassen. Natürlich auch nicht den Gegen­verkehr, der somit gleich­zeitig die Fahrt versperrt und alles noch schlimmer macht. Da­zwischen laufen Zigaretten-, Chiclets– und Sprudelverkäufer her­um, die das Geschäft ihres Lebens machen. Unser Fahrer ist ein Supertrottel, und die anderen Mitfahrenden leiten ihn, indem sie vorauslaufen, winken und schreien („Dale, dale, dale dale„). So kommen wir ganz langsam Stück für Stück vorwärts und können sehr gut die lange Schlange beobachten, die sich auf den Serpentinen zum Fluss ‚runterwälzt. Schließ-lich kommen wir um nachts um 0.30 Uhr direkt am Fluss an. Da heute relativ niedriges Wasser ist, können wir mit dem japanischen Kleinbus allein durchfahren. Kleinere Autos jedoch werden von den LKWs geschleppt. Dafür stehen Jungs bereit, die Abschleppseile vermieten und den Transport durch die LKWs vermitteln, womit sie sich ebenso wie die LKW-Fahrer, die sich um nichts zu kümmern brauchen, ein Zubrot verdienen. Das Ganze natürlich unter einem Schild, auf dem steht, dass für das Rüberschleppen kein Geld verlangt werden darf. Übrigens ist bei der ganzen Aktion kein einziger der sonst so zahlreichen Poli­zisten zu sehen. Die schlafen jetzt, heißt es. Die Überfahrt selbst geht schnell und unproblematisch, und so kommen wir um 2:30 Uhr morgens glücklich im nächtlichen Lima an.

Dienstag, 24.04.  An Jürgens letztem Tag fahren wir morgens gleich per Stadtbus nach Ancón heraus, das laut Touristenbüro ein Badeort am Pazifik sind soll. Dass die Bade­saison jetzt zu Ende ist (Hauptzeit: Januar bis März), ist uns schon klar, aber der Ort ist wie in Südfrankreich (La Grande Motte) aus dem Boden gestampft. Nur Hochhäuser, gepflasterte Wege, keine Gemütlichkeit – widerlich. Dafür komme ich hierher?!? Etwas weiter zurück liegen dann aber schöne alte Holzvillen, so muss der ganze Ort früher einmal als mondäne Som­mer­frische für reiche Limeñer ausgesehen haben. In einer einfachen, preiswerten Kneipe essen wir Fisch zu Mittag und schwat­zen der Wirtin zwei Inka-Cola-Poster mit dem Machu­ Picchu als Motiv ab. Aber ans Baden ist in dem Dreckwasser des Pazifiks hier gar nicht zu denken. Dafür müsste man schon weiter weg von Lima fahren, aber dann hapert’s an öffentlichen Verkehrsmitteln. So geht’s halt ungebadet wieder retour.

Obwohl es im Velbinger-Reiseführer heißt, das Klima von Lima sei gar nicht prima, ist es doch immer schön warm, aber nicht feucht, nebelig oder zu heiß. Wir suchen auf einem der vielen Märkte nochmals erfolglos nach einem Canabis-T-Shirt (mit Adidas-Emblem), aber kaufen vier leere Kassetten, um diejenigen überspielen zu können, die wir in Guayaquil bzw. Cuzco erstanden haben [CDs geschweige denn gestreamte Musik gibt es 1984 natürlich noch nicht.]. Anschließend macht Jürgen große Packaktion, denn die vielen Klamotten wollen alle untergebracht sein.

150% Inflation und 101% p.a. Zinsen in Peru

Mittwoch, 25.04. Den Vormittag verbringen wir mit gutem Früh­stück und einem Spaziergang, um Jürgen dann mit einem amerikanischen Uralt-Taxi zum Flughafen zu expedieren. Damit der arme Junge auch nicht bestohlen wird und seinen Riesensack gut zum Flughafen bringt, begleite ich ihn dorthin. Dann verabschieden wir uns, und ich will per Bus zurück in die Stadt fahren. Da ich aber gut sitze und am Plaza 2 de Mayo nicht ‚raus­komme, mache ich mal wieder eine Riesentour durch die Stadt und sehe mir diverse Gegenden vom Bus aus an.

Wieder im Zentrum mache ich dann in Ruhe einige Einkäufe. Übrigens ändert sich hier der Wechselkurs nicht nur täglich, sondern sogar stündlich! Bedingt durch die Inflationsrate von fast 150% hat sich der Wechselkurs von 2600 Soles je US$ inzwischen bis auf 3060 Soles erhöht! Dafür werden bei den Banken bis zu 101 % Zinsen p.a. geboten!!

Am Abend gehe ich dann billig und gut essen: Für 2000 Soles ein ganzes Menü, bestehend aus einem gemischten Salat, Suppe, Reis mit Fleisch und Brot! Anschließend schreibe ich ewig an meinem Tagebuch, mit dem ich ziemlich im Rückstand bin, und wobei ich jetzt nicht mehr gestört werde. Nach zwei Stunden habe ich aber die Nase voll und will mein Bier noch austrinken und dann gehen. Währenddessen saßen drei Herren am Nebentisch und waren die ganze Zeit fürchterlich am Zechen. Da spricht mich einer von ihnen an, und ich erzähle meinen Vers (was ich mache, wieso ich hier bin etc. etc.). Schließlich bitten sie mich zu sich rüber und das Ende vom Lied ist, dass wir im „Münchner Keller“ bei Fassbier (gibt’s hier ansonsten nie) und Klavierspieler landen, wo es allerhand zu trinken gibt. Aber anstatt mich dann auszurauben – wie es überall steht – zahlen sie dann die ganze Zeche.

Donnerstag, 26.04. Heute ist mein letzter Tag – das gibt’s doch gar nicht, sind etwa schon fast drei Monate ‚rum? Jedenfalls schlafe ich morgens etwas länger (warum wohl?) und fahre dann nach einem preiswerten Frühstück – jetzt braucht’s ja nicht mehr so opulent zu sein, wie zu Jürgens Zeiten – per Bus nach Barranco hinaus. Ich komme dabei durch den vornehmen Stadtteil Miraflores, wo Supervillen mit Wächtern, Chauffeuren etc. stehen, und es Geschäfte im europäischen Stil gibt. Das nächste Viertel ist dann Barranco, laut Reise­führer die Gegend der Künstler. Nun, Künstler sehe ich zwar keine, aber es gibt schöne Häuser, nicht so protzig wie in Miraflores, und vor allem liegt Barranco direkt am Pazifik, von dessen Strand es nur durch eine 100 m hohe Steil­küste getrennt wird – ein toller Blick.

Leider ist das Meer doch ziemlich dreckig, und ich habe auch kein Badezeug dabei. So mache ich eine dreistündige Wanderung (tut mir heute ganz gut) von Barranco bis hinter Miraflores. Zuerst gehe ich oben an der Steilküste entlang durch schöne neue und alte Gebiete Barrancos, und als es dann endlich einen (aben­teuerlichen) Weg nach unten gibt, gehe ich am Küstenstrand weiter, wo aber leider auch eine Straße existiert. Besonders schön ist „La Oasa Nautica„, ein Hotel-Restaurant, das vor zwei Jahren im Jugendstil erbaut wurde und auf Stelzen im Wasser steht. Wirklich ein toller Schuppen!

Nachdem ich genug gewandert bin und auch meine Fitness wieder die Alte ist, fahre ich per Bus wieder in die Stadt. Am Plaza San Martín genieße ich dann in der Sonne das Treiben. Neben Schuh­putzern, Bonbonverkäufern, Saftverkäufern, Zigarettenverkäufern, Wiegern etc. etc. treten hier auch „Künstler“ auf, die ihr Können in einem großen Kreis Interessierter vorführen: Clowns, Akrobaten, Witzeerzähler, Kabarettisten usw. Plötzlich kommt eine junge Frau auf mich zu, die mich noch von Trujillo kennt, ohne dass ich mich aber an sie erinnern kann. So unterhalten wir uns eine ganze Zeit, – aber dann muss sie leider weiter. Nach langem Überlegen kaufe ich mir dann für 50.000 Soles einen wunderbaren Bildband über Peru, der leider schlecht gebunden ist, aber einmalige Fotos enthält. Meine Abendvergnügung besteht zunächst wieder aus Tagebuch­schreiben und Essen.

Mein Geld ist jetzt genau abgezählt, so dass es noch für’s Früh­stück, Schuheputzen und Taxi zum Flughafen reicht. Da lerne ich noch zwei Mädchen kennen, mit denen ich zwei Stunden verbringe und wobei sie mir natürlich mein letztes Geld für Salchipapas und Chicha aus der Tasche locken. So bringen mich die Frauen glatt ans Hungertuch!

Freitag, 27.04.  Der letzte Tag – oh Mann, oh Mann! Mangels Geldes (ich will nichts mehr wechseln) gibt es zum Frühstück nur Saft und zwei Empanadas. Dann mache ich noch einen Spaziergang durch die gerade im Aufbau befindlichen Märkte und lasse mir noch einmal die Schuhe putzen, um damit wenigstens in Deutschland glänzen zu können. Mit sieben Mann fahre ich dann per amerikanischem Uralt-Taxi zum Flughafen hinaus, nachdem ich mit viel Mühe den Rucksack gepackt habe – hoffentlich kommt auch alles an.

Glücklicherweise wiegt mein Rucksack knapp unter 20 kg und das Handgepäck wird nicht gewogen. Dann geht alles recht schnell, ich kriege meinen Ausreisestempel, besuche den Duty-Free-Shop, wo ich natürlich nichts kaufe und nach ½-stündigem Warten geht’s in die DG 10 der Viasa und ziemlich pünktlich um 12:45 Uhr starten wir. Jetzt habe ich 19 Stunden Flug- und Umsteigezeit vor mir. Bei Cordon bleu fliegen wir über die Anden und haben zeitweilig – es ist oft bedeckt – einen herrlichen Blick auf schneebedeckte oder grüne Berge, so wie ich es in den letzten Monaten alles kennengelernt habe. Nach knapp vier Stunden kommen wir in CARACAS an, wo wir uns über drei Stunden aufhalten müssen, bis der Anschlussflug weitergeht. Dummerweise ist die Telefon-Nummer von Luis Miguel im Rucksack, sonst hätte ich ihn ja gut anrufen können. So spaziere ich im Flughafengebäude herum, besehe die Ausstellung zum 200. Geburtstag von Bolívar (1983), und als ich auf die Terrasse trete, wo mir eine fürchterliche, feuchte Hitze entgegenschlägt, erinnere ich mich gut an die ersten, heißen Tage in Caracas – das ist jetzt schon fast drei Monate her!

Gegen 21 Uhr venezolanischer Zeit fliegen wir weiter, und ich habe wieder den gleichen guten Fensterplatz wie im ersten Flugzeug. Für ein Bier zum Essen soll ich „Ochenta Centavo de Marco“ bezahlen, das soll 80 Pfennig heißen. Da sie meinen 20-DM-Schein nicht wechseln können, spendiert es mir mein Nachbar. Jedoch kommt es ein zweites Mal nicht zu der Proble­matik, da das Bier schon alle ist – offensichtlich sind zu viele Deutsche an Bord. Es gibt übrigens das gute Polar-Bier aus Venezuela. Auf einen Kopfhörer für den Film verzichte ich, da es 6 US-$ (18.000 Soles!!) kosten soll. Stattdessen schlafe ich kurz und gut.

Samstag, 28.04.  Nach venezolanischer Zeit um 3 Uhr morgens geht die Sonne auf, was über dem wolkenlosen Atlantik ein herrliches Schauspiel ist. Um ½ 4 Uhr gibt’s dann Frühstück und bald ist europäisches Festland (Portugal) in Sicht. Nach ein­stündigem Stop in Lissabon fliegen wir über das wolkenverhangene Spanien weiter und kommen schließlich über das sonnige, wolken­lose Frankreich. Einen tollen Blick haben wir auf Paris, wo man die Seine, den Eiffelturm, Place de l’Étoile, Champs Elysées etc. alles hervorragend sehen kann. Schade, dass ich keinen Film mehr habe. Schon eine ¾ Stunde später – für mich früher Morgen, hier 14:00 Uhr – setzen wir zum Landeanflug auf Frankfurt an.

Nachdem ich ewig laufen muss, um an die Förderbänder für das Gepäck zu kommen, wo mein Rucksack auch gut behalten anlangt, geht’s zum Zoll. Glücklicherweise werde ich gleich anstandslos durchgewunken und dann sehr nett von meinen Eltern und Schwestern in Empfang genommen und nach Hause gebracht.

 

– E N D E –

 

PS: Drei Tage später beginne ich mein Berufsleben bei einem Anlagenbauer in Süddeutschland, das mir glücklicherweise in den nächsten Jahrzehnten noch sehr viele Möglichkeiten zu Reisen in den Amerikas und auf anderen Kontinenten bieten wird!

 

Alle Südamerika-Reiseberichte 1984 von Olaf Remmers

 

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Vintage

Was ist Vintage?
"In der Mode versteht man unter Vintage ein Kleidungsstück aus einer älteren Kollektion eines Designers".
So sagt es Wikipedia in seiner Erklärung  ( https://goo.gl/7Nmyhz ). Ich habe den Begriff Vintage als Kategorienamen gewählt, um alle Reiseberichte zusammenzufassen, die schon etwas älter sind. "Oldies but Goodies" ist ein anderer Ausdruck, den man hier verwenden könnte. Auf jeden Fall stehen hier nicht die allerschönsten Bilder aus modernen Digitalkameras im Hintergrund, sondern eher besondere Erlebnisse. Und die Fotos sind eingescannt vom Dia oder sogar Papierbild. In diesem Zusammenhang könnte man sogar den Begriff "Shabby Chic" verwenden, den Wikipedia auch in seinem Artikel aufführt. Authentische Bilder aus der Vergangenheit haben ihren eigenen Reiz. Ist es doch so, dass die Generation Smartphone ihre qualitativ hochwertigen Handy-Fotos mit einem Filter auf Instagram hochlädt, der diesen Fotos ein oft vergammeltes Image mitgibt. Bei den Fotos der Vintage-Reihe braucht es das nicht. Die Fotos SIND schon alt und "wurmstichig" - wenn auch aus Gründen der Ästhetik die vielen kleinen Punkte und Fussel, die beim Einscannen noch zu sehen sind, mühsam in der Bildbearbeitung entfernt werden.

 


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