Südamerika 1986: Nord-Argentinien – im Land der Pachamama [Vintage]
Translation with GoogleAutor: | Olaf Remmers |
Reisezeit: | Juni 1986 für den Teil „Argentinien“ |
Art der Reise: | Selbstfinanzierte Rucksackreise |
Lesezeit: | 17 Minuten |
Tagebuch zweite Südamerika-Reise: Perú, Bolivien, Argentinien, Paraguay, Brasilien, Uruguay
Anmerkung: Nach meiner ersten Südamerikareise 1984 durch die Andenländer und dem anschließenden Eintritt ins Berufsleben war meine Reiselust noch lange nicht gestillt. Nach zwei Jahren Berufstätigkeit nutzte ich einen Arbeitgeberwechsel zu einer zweiten dreimonatigen Südamerikareise, auf deren zweiter Hälfte in Brasilien und Argentinien mich meine Freundin, die inzwischen seit über 35 Jahren meine Ehefrau ist, begleitete.
Der Text meines Tagebuchs von 1986 (Reise 17. Mai bis 28. August 1986) wurde fast unverändert übernommen. Die Rechtschreibung wurde angepasst und auf die Umrechnung in DM (Deutsche Mark, die Älteren werden sich erinnern) wurde verzichtet. Die damals gültigen Landeswährungen wurden beibehalten.
Informationen aus dem Internet gab es damals natürlich noch nicht, geschweige denn Verbindungen zu Freunden oder Familie über What’s App oder ähnliches. Die beste Verbindung waren postlagernde Briefe (wer kennt das noch?) oder in Notfällen extrem teure Telefonate. Ich war also drei Monate lang auf mich allein gestellt! Mein handgeschriebenes Tagebuch war das einzige Lebenszeichen, das ich regelmäßig per Post nach Hause schickte. Meine Mutter hat es sofort mit der Schreibmaschine abgeschrieben, um die Herausforderungen meiner Handschrift zu kompensieren. Nach Jahrzehnten in einem Leitzordner im Keller konnte ich das wiederentdeckte Tagebuch nun problemlos in WORD einscannen und als TXT-Datei dem ReiseFreak’s ReiseMagazin und ReiseBlog zur Verfügung stellen, inklusive fast 40 Jahre alter Dias, die trotz teilweise zweifelhafter Qualität in digitalisierter Form Eingang fanden.
Teil 3: Nord-Argentinien at its best
Ich verabschiedete ich mich also in dem bolivianischen Café in Villazón, tausche in einer Casa de Cambio meine 35.000.000 Pesos gegen 16 argentinische Austral (₳) und fahre zur nahen Grenze nach Argentinien. Hier muss ich eine ¾ Stunde warten, da der „Stempelonkel“ gerade zu Tisch ist. Währenddessen unterhalte ich mich gut mit dem bolivianischen Grenzbeamten und halte 10 Minuten alleine die Stellung, als keiner Zeit hat! Dann bekomme ich endlich meinen Ausreisestempel und Bolivien ist Vergangenheit. Jetzt liegt Argentinien vor mir und die Erwartungen sind groß!
ARGENTINA
Über eine kleine Brücke geht’s per pedes nach Argentinien, wo ich im Büro zunächst niemanden finde. Ein paar Soldaten bedeuten mir dann in kaum verständlichem Spanisch, daß einer gleich käme. Mit diesem unterhalte ich mich dann recht und schlecht, wofür er mir drei Monate Aufenthaltserlaubnis gibt (die ich nicht brauche). Mit 1,50 ₳ (1,50 US-$) bin ich dann beim Zoll dabei und schon bin ich in Argentinien. Die Währung ist hier „Austral“ (₳), die genau einem US-Dollar entspricht.
500 m weiter bin ich bereits mitten in LA QUIACA, der nördlichsten Stadt Argentiniens. Hier gibt es keine bolivianischen Lehmhütten mehr und kaum Dreck, sondern alles sieht ordentlich und sauber aus. Allerdings ist hier heute Feiertag (Dia de la Bandera) und alles ist geschlossen. Zwischen Villazon (Bol.) und La Quiaca (Arg.) herrscht freier Grenzverkehr und ohne alle Formalitäten dürfen Bolivianer und Argentinier von hüben nach drüben. Das nutzen die Bolivianer für Einkäufe auch reichlich aus. Ich habe eine Stunde Wartezeit bis ein Bus nach Jujuy, der nächsten, größeren argentinischen Stadt, fährt, denn La Quiaca ist eigentlich nichts. Währenddessen werde ich von einem Oscar eingeladen und gleichzeitig als Nachhilfelehrer für Deutsch gebraucht.
Jujuy und Salta im „hohen Norden“ Argentiniens
Für den Preis von 9,70 ₳ erstehe ich ein boleto für die knapp 300 km bis Jujuy. Im nicht gerade billigen Bolivien kostet die gleiche Strecke weniger als die Hälfte! Der Bus ist sehr eng, aber weitaus besser in Schuss als in Bolivien. Die Strecke führt größtenteils an einem Fluss entlang und ist ganz herrlich. Man muss die Uhr eine Stunde vorstellen und zum Glück ist es anfangs sogar noch hell. Nach der halben Strecke müssen alle aussteigen und in einer Polizeistation wird alles Gepäck auf Rauschgift durchsucht. Mein Rucksack ist fürchterlich verstaubt, weil wir hier auch nur Piste haben, allerdings besser als in Bolivien und das Gepäck nicht auf dem Dach liegt, sondern unten im Bus verstaut wird, wo es am meisten staubt. Bei der „Polizeiaktion“ gibt sich einer der Argentinier als Deutscher zu erkennen, der seit 1940 hier lebt – er ist allerdings recht unsympathisch. Nach sechs Stunden Fahrt, inzwischen auf Asphalt und mit Wegweisern im europäischen Sinne (keine Tafeln mit Kreide wie in Bolivien), kommen wir um 22 Uhr im Dunkeln in JUJUY an.
Diese Stadt ist nach Bolivien ein mittlerer Kulturschock für mich. Der Busbahnhof ist riesig, modern und hell erleuchtet – so etwas gibt es doch wohl nicht. Ich finde bei dem Riesending kaum den Ausgang. Als ich auf der Straße stehe, es ist noch so warm, dass man nicht einmal einen Pullover braucht, obwohl ich hier noch ca. 1.500 m hoch bin, fühle ich mich fast wie in den USA. Alles ist voller neuer Autos, tausende Lichtreklamen und Fast-Food-Restaurants. Nur eines scheint es hier nicht zu geben, und das ist eine Herberge und davon gab es in Bolivien zig Stück.
Nachdem ich in Busbahnhofsnähe nichts finden kann, frage ich nach dem Zentrum, das einige Cuadras entfernt ist. Auf dem Weg dorthin sehe ich auch keine Residencial, dafür hält ein Auto neben mir, und der Fahrer ruft: „¿Hola mochillero, a dónde vas?“ Etwa: Hey, Rucksacker, was suchst Du? Daß die Leute hier Fremden gegenüber so offen und hilfsbereit sind, hatte ich bereits gelesen. So nimmt er mich mit und setzt mich in einer Gegend ab, wo Hotels sein sollen. Ich finde aber trotzdem nichts und frage an einem Kiosk. Obwohl es schon fast 23 Uhr ist, sind die Straßen noch recht belebt – in Bolivien war um 20 Uhr schon immer tote Hose. An dem Kiosk sind sie auch sehr nett, laufen extra los und fragen und schließlich heißt es, zwei Straßen weiter sei die „Residencial 19 de Abril“ – also hin. Dort ist zwar Licht, aber nichts rührt sich. So etwas gibt’s doch nicht. Ich kann und will doch nicht auf der Straße schlafen. Nach fast zehn Minuten kommt endlich jemand an die Tür und erklärt mir, er könne mir kein Zimmer geben und der Inhaber sei nicht da. Ich könne aber gerne warten. Als ich mich dazu wenig begeistert äußere, erklärt er mir den Weg zum dueño (Inhaber). Aber die tausend Ecken und Straßen kann ich mir nicht merken. Seine beiden Söhne (ca. 20 Jahre) sind auch da und er schlägt vor, sie könnten mich ja hinbringen – wenn es mir auch stinkt, dass keine Unterkunft zu finden ist, die Hilfsbereitschaft der Argentinier ist wirklich einmalig. So gehen wir zu dritt los. Als wir uns unterhalten, stellt sich heraus, dass die Eltern aus der DDR kommen und die Jungs auch noch etwas Deutsch können – da geht’s halb deutsch, halb spanisch weiter. Beim dueño angekommen, fährt uns dieser per Auto zurück (unmöglicher Fahrstil), gibt mir ein Zimmer, und ich kann endlich schlafen.Samstag, 21.6. (Parallel zum Schreiben kommt gerade das WM-Spiel Deutschland : Frankreich im TV, Stand 1: 0 für Deutschland, anschließend kommt Argentinien – Belgien, dann werden die Straßen wieder leer sein!). Morgens genieße ich erst einmal eine anständige Dusche und benutze Handtuch und Seife, die ich im Hotel bekommen habe – ein Luxus ist das hier! Dafür kostet das Hotel auch 5,- ₳ = 5,– US-$ = DM 13,- und nicht 3, – bis 4,– DM wie in Bolivien. Dann gehe ich bei ziemlicher Hitze (25°C im Schatten) nach Jujuy ‚rein. Hier gibt es alles an Geschäften und im Angebot wie in jeder europäischen Stadt. Die Leute sehen aus wie bei uns, deren Kleidung auch – einfach ganz normal und nichts Besonderes. Allerdings fühle ich mich extrem dreckig (trotz Dusche) und heruntergekommen, da ich noch mehr auf Minen in Potosí eingestellt bin als auf Königstraße. Nachdem ich hier eine ganze Zeit ‚rumgelaufen bin, nichts Besonderes gefunden habe und erstmalig in diesem Urlaub schwitze, beschließe ich, gleich nach Salta weiterzufahren. Das ist die nächste große Stadt in Argentinien. Vorher versuche ich noch, ein Telefongespräch mit meiner Freundin in Deutschland zustande zu bringen, denn meine Anwesenheit in einem zivilisierten Land will ich ausnutzen. Allerdings heißt es nach 1½ Stunden, heute ginge es nicht – sooo zivilisiert ist es hier wohl doch nicht.
So fahre ich am Nachmittag weiter nach SALTA, wo ich nach einer zugigen Fahrt von 2 Stunden ankomme. Die Hochebene ist wunderschön, aber sehr einsam. Hier leben fast ausschließlich Indigene, die sich der Erdgöttin „Pachamama“ verpflichtet fühlen, wie auch in zahlreichen anderen Andenstaaten. Pachamama ist eine Art Vermittlerin zwischen Ober- und Unterwelt und wird als ein Faktor für Identität, sozialpolitischen Widerstand und als Hoffnung auf ein besseres Leben angesehen. In zahlreichen Liedern der aus Mendoza stammenden, argentinischen Liedermacherin Mercedes Sosa wird ihr Tribut gezollt.
Salta ist eine große, geschäftige Stadt von 400.000 Einwohnern, 1200 m hoch, die aber noch ein schönes koloniales Flair haben soll. In der Pension „Viena“ finde ich schnell eine einigermaßen ordentliche Unterkunft für 4,20 ₳. Es ist super Wetter, sehr warm und die Stadt ist schön. Es gibt eine Fußgängerzone, tausende Geschäfte und Restaurants, sowie eine sehr schöne Plaza. Ich gebe meine Klamotten (Hemd, Hose und Handtuch) in eine Wäscherei. Alle Restaurants noch völlig leer. Aber bald gehe ich dann essen, denn das berühmte argentinische Fleisch will ich natürlich gleich probieren. Ein Riesenklotz von Steak (ca. 400 gr.!!), Salat (sehr schlecht), Pommes frites und zwei Viertel Rotwein kosten mich gerade DM 12,–, und ich bin voll und satt, wie ich es im ganzen Urlaub noch nicht war. Argentinien ist also ein Land für Esser und Trinker und nicht für Schläfer. Das Fleisch ist übrigens sehr gut, den Rest kann man vergessen – so war es mir vorher auch geschildert worden, d.h. der Wein ist auch recht gut – Argentinien ist ein Land der Weintrinker, während Bier teuer und selten ist.
Sonntag, 22.6. Nachts schlafe ich schlecht und wache andauernd auf. Morgens stelle ich fest, woran es liegt: Mein Steak hängt noch im Bauch wie ein Stein. Entweder ist mein Magen während des vergangenen Monats schon so geschrumpft, dass nichts mehr hineinpasst, oder das Fleisch war nicht o.k. Jedenfalls ist mir sauschlecht. Da natürlich noch alles zu hat (Sonntag 9 Uhr) und ich sowieso keinerlei Hunger habe, setze ich mich in ein Straßencafé eines Luxushotels am Plaza 9 de Julio, das schon offen hat, trinke Espresso und schreibe den ganzen Vormittag Tagebuch.Das Wetter ist recht mies: Bewölkt, kühl (15°C) und es sieht nach Regen aus. Gegen Mittag gehe ich etwas spazieren und dann zur Telefongesellschaft, um ein Gespräch nach Deutschland anzumelden. Ich möchte nämlich nochmals versuchen, mit Irene zu telefonieren. Gegen 12 Uhr melde ich das Gespräch an und warte dann, schreibender-, lesender- und dösenderweise in dem Wartesaal. Der wird langsam immer leerer, denn um 15 Uhr fängt das für Argentinien wichtigste Fußballspiel dieser WM an, nämlich gegen England! Endlich um 16 Uhr kriege ich die Verbindung mit Irene, glücklicherweise ist sie auch zu Hause. Wir führen ein dreiminütiges Gespräch, über das ich mich – und sie sich offensichtlich auch – sehr freue. Kostenpunkt: 9,90 ₳ = DM 25,–.
Wie geht das hochpolitische WM-Spiel Argentinien – England aus?
Als ich ‚rauskomme gießt es in Strömen, und ich rette mich schnell in eine Confitería, ein Zwischending zwischen Bar und Café. Hier ist das Fußballspiel in vollem Gange und kann in zwei TV’s gesehen werden. Es steht 2:0 für Argentinien, und es sind noch 30 Minuten zu spielen. Mordsgeschrei herrscht bei jedem argentinischen Angriff und Totenstille bei jedem englischen. Die Stimmung sackt unter den Gefrierpunkt, als die Engländer ein Tor schießen. Schließlich der erlösende Abpfiff: Argentinien hat gegen England 2:1 gewonnen und – was weniger als dieser Sieg zählt – ist eine Runde weiter. Es dauert keine fünf Minuten bis nach dem Abpfiff, da geht ein Mordsgetöse auf der Plaza los, an der die Confitería auch liegt. Während des Spiels waren alle Straßen völlig leer und ausgestorben, kein Mensch zu sehen, kein Bus, nichts. Jetzt kommt ein Auto nach dem anderen angefahren und umkreist die Plaza. Die Autos hupen unentwegt, sind mit argentinischen blau-weiß-blauen Fahnen geschmückt und drinnen sitzen jubelnde Menschen. Viele Autos haben Ladeflächen, die mit Leuten überfüllt sind, die jubeln und springen und das Auto schier zum Umkippen zu bringen. Zum Glück ist es jetzt trocken. So eile ich ins Hotel, um meine Kamera zu holen – zum Glück ist es nicht weit.
Als ich wiederkomme, geht fast nichts mehr auf der Plaza: Vor lauter Autos ist alles dicht und der Stau ist perfekt, trotzdem gehen Hupen, Singen, Tanzen und Schreien weiter. Langsam sammeln sich immer mehr Fußgängergruppen an, die, mit langen argentinischen Fahnen versehen und diese zusammen über den Kopf haltend, durch die Reihen der gestauten Autos springen. Jetzt fehlt nur noch Pachamama! Viele Fahnenverkäufer machen ein gutes Geschäft. Es tauchen immer mehr Fahnen mit der Aufschrift „Las Malvinas son Argentinas„, dem eigentlichen Hintergrund des Jubels, zum Vorschein. [Zur Erinnerung: Kurz zuvor hat der blutige Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien um die Falklandinseln (argentinisch: Malvinas) im Südatlantik stattgefunden mit 900 Toten auf beiden Seiten, in dem Großbritannien die von Argentinien besetzten Inseln zurückeroberte.] Als schließlich innerhalb der Menschenmassen ein Union Jack in Flammen aufgeht, finde ich es langsam bedenklich, denn so „unenglisch“ sehe ich auch nicht aus. Trotzdem bleibe ich noch. Besonders auffällig an dem Ganzen ist, dass fast alle Teilnehmer recht dunkle Hautfarbe haben, denn hier im äußersten Norden Argentiniens leben fast ausschließlich Indigene. In Argentinien (und Brasilien) ist es nämlich leider immer noch so, dass die Hautfarbe sehr wohl etwas über den sozialen Status aussagt: Je weißer desto höher die sogenannte Rangstufe und umgekehrt. Als mich ein paar Leute fragen, ob ich Englisch könne, antworte ich sicherheitshalber auf Spanisch, dass ich nur Spanisch und Deutsch spräche.
Schließlich reicht es mir und ich gehe zum Busbahnhof, um ein Ticket für morgen zu kaufen, da ich nach Cafayate weiterwill. Abends, natürlich erst gegen ½10 Uhr, gehe ich in eine der zahlreichen Pizzerias, wo ich eine Super-Roquefort-Pizza esse. Ich bestelle nur die kleine und obwohl mein Bauch wieder o.k. ist, und ich Riesenhunger habe, schaffe ich gerade die Hälfte. Das Ding kostet gerade 1,60 ₳ = DM 4,–.Wie schmeckt der Wein im argentinischen Weinbauort Cafayate?
Montag, 23.6. Ich lasse mich schon um 5.30 Uhr wecken, denn um 7 Uhr geht mein Bus nach Cafayate, und ich muss noch erst ganz zum Busbahnhof laufen. Alles klappt wie geplant und um Punkt 7 Uhr startet der Bus. Die ersten zwei Stunden in dem vollen Bus verschlafe ich. Dann ist Frühstückspause und anschließend kommt eine herrliche Gebirgsfahrt im Tal des Rio de las Conchas. Die rötlichen Berge haben einmalige Formationen, es ist eine Landschaft wie in Arizona, nur dass man zusätzlich den Kontrast der grünen Bäume hat, die am Fluss wachsen. Überall gibt es besondere Formationen der Felsen, die mein Nebensitzer alle zu kennen scheint und mir erklärt: EL Fraile (der Mönch), Los Castillos (die Schlösser), Las Ventanas (die Fenster), El Anfiteatro (das Amphitheater) etc. etc. Schließlich ist diese Landschaft schlagartig vorbei, und es folgt eine wüstenartige Gegend, in der zahlreiche Wanderdünen die Straße bedrohen. Hinzufügen muss ich noch, dass Salta wieder sehr schlechtes Wetter hatte, und es anfangs regnete. Mit zunehmender Entfernung von Salta stellte der Regen sich ein und jetzt sind bereits blaue Stellen am Himmel zu sehen. Gegen 11 Uhr kommen wir dann in CAFAYATE an, wo strahlendblauer Himmel herrscht. Aber am Ortseingang dieser Gemeinde steht auch groß: „Aqui vive el sol“.
Cafayate ist ein Weinbauort, übrigens meines Wissens der Einzige der Welt, der von Wanderdünen bedroht wird (in 1.700 m Höhe), der im Sommer (Dezember bis Februar) von vielen Touristen besucht wird. Jetzt im Juni ist es ziemlich ruhig hier.Ich will mich gerade von meinem Nebensitzer verabschieden, da lädt er mich ein, er habe hier ein Zimmer und dort könne ich auch gerne schlafen. Warum nicht? Die Hotels sind hier bestimmt wieder sauteuer. Er, mit Namen Martin, scheint eine Art Monteur zu sein, der nur am Wochenende nach Salta (200 km) fährt. So stimme ich ein, ohne zu wissen, auf was ich mich da wieder einlasse. So marschieren wir in der Sonne zu seiner Bude, die sich dann als Miniräumchen entpuppt, in dem gerade 2 vergammelte Betten und eine Bank Platz haben. Dazu erzählt er mir, sein Kumpel käme nachher und der schliefe in dem anderen Bett, während er selber woanders schlafen könne, so dass für mich ein Bett frei sei. Oh Gott, wäre ich nur ins Hotel gegangen! Aber jetzt kann ich’s auch nicht mehr ändern. Beruflich habe ich bisher nach Möglichkeit jeden privaten Kontakt mit den Monteuren vermieden und hier schlafe ich sogar in deren Bett! So ändern sich die Zeiten. Langsam stellt sich auch heraus, was er bzw. sie hier machen: Sie haben irgendeinen Mords-Bagger, mit dem sie im Fluss ‚rumschieben, um ihn zu begradigen oder dergleichen. Das machen sie hier schon seit Monaten. Daher kennt Martin sich in Cafayate gut aus. Außerdem hat er noch Zeit, bis sein Kollege kommt. So gehen wir zum größten Weingut hier in Cafayate, wo er den leitenden Ingenieur gut kennt. Wir gehen etwa ¼ Stunde durch eine ebene Rebenlandschaft. Allerdings sieht es hier jetzt so aus, wie bei uns im Winter: Unbelaubt und trüb, aber die Sonne scheint und es ist sehr warm, obwohl ständig ein Wind geht. Durch eine Allee, deren Bäume vom Wind so schief sind wie in Ostfriesland, kommen wir zum Weingut „Michel Turino„.
Durch Martins Vermittlung werden wir nach 10 Minuten beim „Herrn Ingenieur“ vorgelassen. Auch ich bin jetzt nicht mehr stinknormal Olaf Remmers, sondern „El Señor Ingeniero de Alemania„. So sitzen wir dann am brennenden Kamin in Ledersesseln, und ich gebe auf Spanisch mein ganzes Wissen über den deutschen Weinbau weiter. Mir gegenüber sitzt dieser Ingenieur-Betriebsleiter oder was immer er ist – in Cowboystiefeln, Jeans – eben wie ein Gaucho aussieht. Nachdem wir uns eine halbe Stunde unterhalten haben, ruft er seinen „Diener“ ‚rein, und mir wird exklusiv der ganze Betrieb gezeigt, der meiner Ansicht nach recht modern geführt ist. Hier ein paar Zahlen: Hier werden jährlich 5 Mio. Liter Prädikatswein hergestellt. Argentinien ist eigentlich – wie Italien – ein Land des Tischweines, der in riesigen Mengen (Gegend von Mendoza) hergestellt wird. So sind diese 5 Mio. Liter nur 0,4% der argentinischen Weinproduktion, jedoch 25% des Prädikatsweines! 10% der Produktion werden exportiert, insbesondere in die USA, aber auch nach Deutschland. Auf dem Gut, das jedem französischen Weingut bezüglich Sauberkeit und Ordnung alle Ehre machen würde, sind permanent 150 Leute beschäftigt und während der Lese doppelt so viele. Die anschließende „Weinprobe“ fällt dann allerdings recht sparsam aus: Ein Glas Weißwein (Torrontes – spanische Traube) gibt es, der sehr trocken und fruchtig ist. Allerdings ist der Wein auch nicht billig: 1 Karton mit 6 Flaschen kostet ca. 20,– ₳ = DM 55,–! Ansonsten ist der Wein ja sehr billig in Argentinien.Nach diesem interessanten Besuch muss Martin tatsächlich zu arbeiten beginnen, während ich zum Essen gehe (was habe ich’s doch gut!). Es gibt Ravioli mit Hähnchen und zwei Viertel Wein. Danach marschiere ich durch Cafayate und über den Ortsrand hinaus. Langsam komme ich in die angrenzenden Berge, wo ich mir einen schönen Platz zum Schlafen suche! Denn Wein und Sonne machen müde. Anschließend gehe ich zurück in den sehr ruhigen Ort, wo nur einige Geschäfte und Restaurants überhaupt geöffnet haben. Ich setze mich in ein Straßencafé – diese schöne französische Einrichtung gibt es in Bolivien ja gar nicht, während sie in Argentinien weit verbreitet ist – trinke einen Espresso und beobachte die Leute, die einen Touristenbus aus Buenos Aires verlassen.
Diese Leute unterscheiden sich wirklich in nichts von einer Ladung deutscher oder französischer Neckermann-Touristen. Ein Einheimischer am Nebentisch scheint meine Gedanken zu erraten und fragt: „Muy tonto, verdad?“ (Verrückt nicht?). So kommen wir ins Gespräch über Argentinien, Deutschland, Gott, die Welt und natürlich Fußball. Als es dann kühler wird, begebe ich mich zu meiner Unterkunft, wo Martin und sein Kollege schon auf mich warten. Aber meine Vorstellung, dass man jetzt gemeinsam auf ein, zwei Viertel irgendwo hingeht, täuscht gewaltig. Sie machen keine Anstalten, die Bude zu verlassen, und wir unterhalten uns so recht und schlecht über alles Mögliche. Schließlich und endlich nach über zwei Stunden wollen wir essen gehen. Es geht nach gegenüber in ein Privathaus, wo sie ihr Essen fest bestellt haben und andere Arbeiter auch essen. So habe ich mein Ohr respektive Zunge mal wieder direkt am Volke! Es gibt spanische Tortilla und Gemüsesuppe – eben Volksnahrung. Anschließend kann man in dem eiskalten Raum mit sau-ungemütlichen Stühlen Fernsehen zu gucken. Und was kommt? Ausgerechnet Boxen! Mensch, ist das langweilig. Um 22.30 kann ich endlich schlafen gehen. So habe ich ‚mal einen richtigen, langweiligen, argentinischen Arbeiter-Feierabend erlebt. Trotzdem schlafe ich die Nacht in dem Bett (mit meinem Schlafsack!) bestens.
Arbeiterleben in Argentinien
Dienstag, 24.6. Morgens fangen die beiden schon um 7 Uhr an zu arbeiten – ich wusste gar nicht, dass es in Südamerika um die Zeit schon losgehen kann. Ich schlafe noch bis 8 Uhr weiter. Morgens ist es eisigkalt und man braucht wieder alle Pullover. Nach dem Frühstück frage ich nach einem Bus, der nach Salta zurückfährt. Der nächste geht erst um 18 Uhr So verbringe ich fast den ganzen Vormittag damit, mein Tagebuch zu schreiben, denn ich bin schon wieder eine Woche hinterher. Zum Mittag treffe ich mich mit meinen beiden Freunden, und wir gehen wieder zusammen essen, es gibt Maissuppe. Übrigens ist auffällig, wie wohlerzogen sich auch diese einfachen Leute benehmen. Hier fängt keiner an zu fressen, wenn er seinen Teller hat, sondern man wartet, bis alle ihren Teller vor sich stehen haben. Man wünscht guten Appetit, es gibt Stoff-Servietten (Geschirrtücher) und als am Nebentisch ein einziger Mann übrigbleibt, fragt er uns um Erlaubnis, ob er gehen darf! Wenn ich da an deutsche Arbeiter denke!
Am Nachmittag mache ich noch ein paar Bilder, lerne ein Ehepaar aus Buenos Aires kennen, und schreibe viel. Um 17 Uhr verabschiede ich mich dann von meinen Freunden, nicht ohne ihnen versprochen zu haben, ihnen die Fotos zu schicken, die ich gemacht habe.
Um 18 Uhr geht mein Bus nach Salta dann los. Die erste Stunde ist es noch hell, und ich kann nochmals – jetzt bei Sonnenschein – die Schlucht des Rio de las Conchas beobachten. Gegen 22 Uhr kommen wir in Salta an, und ich kriege zum Glück wieder ein Zimmer in meinem Hotel, wo sie mich fast empfangen, wie den verlorenen Sohn – kein Wunder bei dem Preis! Da ich heute noch kaum gegessen habe, ist mein Hunger kein kleiner. Endlich kommt es mir zugute, dass man in Argentinien so spät isst, denn ich kriege um 23 Uhr noch eine Riesen-Muschel-Pizza und Wein, danach kann ich auch bestens schlafen.Mittwoch, 25.6. Am Sonnabend war ich in Salta auch auf dem Bahnhof gewesen, um mich mal zu erkundigen, wohin überhaupt Züge fahren. Dabei hatte sich ergeben, daß einer jeweils nach Socompa fährt. Dieses ist in den Anden in 3.800 m Höhe die Grenze zwischen Argentinien und Chile. Der argentinische Zug fährt nur bis dort, aber wie ich in Erfahrung bringen konnte, geht es ab und zu mit einem chilenischen Güterzug weiter bis Antofagasta. Das wäre beides zusammen natürlich eine tolle Sache für mich.
Schaffe ich es mit dem Zug über die Anden nach Chile?
Jedoch wissen sie immer erst mittwochs (wenn der Zug fährt), ob der chilenische Zug auch zustande kommt. So bin ich also heute wieder in Salta, um das in Erfahrung zu bringen. Nach diversen anderen Besorgungen (Wäscherei, Geldwechsel, Landkarte etc.) heißt es auf dem Bahnhof, der chilenische Zug führe, allerdings erst am Freitag! Das würde für mich bedeuten, ich hätte von Donnerstagnachmittag, wenn der argentinische Zug ankommt, bis Freitagmorgen Aufenthalt in Socompa. Das wäre alles nicht so schlimm, aber Socompa ist gar kein Ort, sondern nur eine Bahn- und Grenzstation in 3.800 m Höhe. Es gibt kein Hotel, kein Restaurant – nichts. So überlege ich lange, ob ich hier eine Nacht verbringen will (eiskalt, kein Bett, u.U. Kopfschmerzen von der Höhe) und komme zu dem Resultat: Ja, ich will hier unbedingt langfahren, denn das macht sonst keiner. Aber als ich die Zugkarte holen will, heißt es, es sei schon zu, und es gäbe erst um 15 Uhr wieder Karten. Also gut – warte ich so lange. Ich habe noch 2½ Wochen Zeit, bis ich mich mit Irene in Brasilien treffen will und will auch noch nach Paraguay. Deshalb habe ich vor, von Antofagasta nach Asunción/Paraguay zu fliegen. Auf dem Rückweg vom Bahnhof frage ich nach der Flugverbindung. Dort heißt es, man könne nur von Santiago fliegen und der Flug koste 250,– US-$. Das gibt’s doch nicht: Santiago ist viel zu weit im Süden und für 250 US-$ fliege ich ja von Europa nach USA. Also streiche ich schweren Herzens meine Chile-Exkursion wieder und überlege, wie ich in Argentinien weiterreise, um nach Paraguay zu kommen. Nachdem ich lange Landkarten und Fahrpläne gewälzt habe, steht fest: Ich fahre die knapp 1000 km von Salta nach Resistencia direkt durch, denn dazwischen gibt’s einfach nichts. So kaufe ich mir für denselben Tag 17 Uhr ein Ticket nach Resistencia. Obwohl es noch Vormittag ist, bekomme ich gerade noch das letzte Ticket für den Bus. Dieses hat den unverschämten Preis von 19,20 ₳ = DM 55,– – ich bin geschockt! Das muss wirklich ein Luxus-Bus sein!
Den Nachmittag verbringe ich mit Mittagessen, Post aufgeben, Schreiben etc. Es ist auch wieder großer Fußball-Tag: Nachmittags schlägt Deutschland Frankreich mit 2:0, d.h. Endspielteilnahme Deutschlands in Mexico und das Spiel Argentinien – Belgien folgt noch am Abend. Um 16.30 bin ich am Busbahnhof und bin von meinem Platz schwerstens geschockt! Direkt unter dem Sitz vor mir steht irgendein komischer Ventilator! D.h. ich kann die ganze Nacht – wir sollen um 7 Uhr ankommen – meine Füße nicht ausstrecken. Das halte ich nie aus und bei einem Preis von DM 55,– will ich es auch gar nicht aushalten. Meine Beschwerde beim Busfahrer bringt natürlich nichts – was soll er auch machen? Aber es stinkt mir granatenmäßig, dass in Primitiv-Ländern wie Bolivien, wo man für ein paar Mark fuffzig fährt, alles besser klappt als in dem Sch…-Argentinien, wo alles so teuer ist. Das mache ich nicht mit. So setze ich mich zunächst auf den Platz daneben und der enge Platz bleibt frei. Sei es ein Wunder, sei es der Einfluss des Fahrers, der Muffe vor mir hat, jedenfalls bleibt der Platz wirklich frei, und ich habe die ganze Nacht Platz für meine Füße. Trotzdem ist die teure Fahrt kein Zuckerschlecken: Es zieht ewig, weil die Leute einfach zu doof sind, die Fenster zu schließen, und der Bus ist so überfüllt, dass einem fast ständig jemand auf der Lehne sitzt. Das finde ich zwar in Bolivien o.k. und normal, aber hier bei diesen Preisen finde ich das nicht ok. Trotzdem schlafe ich die Nacht relativ gut.An der Grenze nach Paraguay
Donnerstag, 26.6. Pünktlich um 7 Uhr kommen wir in RESISTENCIA an, wo es noch dunkel ist. Bei der Busgesellschaft, die in Richtung Paraguay weiterfährt, ist eine Riesenschlange, außerdem weiß ich noch gar nicht genau, ob ich nicht hierbleiben und mir die Stadt anschauen will. Zunächst muss ich einmal frühstücken. Zum Glück hat schon eine Confitería offen, und ich bestelle Café con Leche und ein Sandwich. Der Kaffee ist gut, aber das Sandwich ist mindestens 3 Tage alt und der Schinken schmeckt wie Leberwurst – eine Frechheit so etwas zu verkaufen. Nachdem ich Reiseführer und -karte studiert habe, will ich zahlen. Kostenpunkt für das Sch…frühstück 1,80 ₳, das sind fast DM 5,– und ist eine Riesensauerei – das gebe ich auch lautstark bekannt, aber der Depp reagiert überhaupt nicht. Jetzt steht für mich fest, dass ich auf jeden Fall gleich aus diesem Argentinien weiterfahre nach Paraguay.
Zehn Minuten später fährt schon ein Bus nach Clorinda, das direkt an der Grenze liegt. Allerdings kriege ich keine Karte für einen Sitzplatz mehr. Aber geschickterweise überhole ich im Bus die anderen Stehenden und kriege doch einen Sitzplatz, nämlich in der unbenutzten Bordküche. So gelange ich in einer 4½-stündigen Fahrt bis nach CLORINDA. Die Fahrt führt hauptsächlich durch recht feuchte Gebiete, die teilweise sogar unter Wasser stehen. Größtenteils ist alles mit Palmen bewachsen. In Clorinda fährt der Bus bis direkt an die Grenze, wo ich gleich meinen Ausreisestempel aus Argentinien bekomme. Über die internationale Brücke geht’s über den Rio Pilcomayo nach Paraguay. Jetzt bin ich sehr gespannt, was mich in diesem kuriosen Land erwarten wird.
Titelbild:Cafayate. Foto von Ryan Ancill