Also haben wir Bücher, das Internet und befreundete Jamaikaner zum Thema «Totenkult auf Jamaika» befragt und erfahren: Auf der lebendigen Karibikinsel wird nicht nur jeden Tag das Leben gefeiert, sondern auch die Toten mit Musik, Tanz und gutem Essen geehrt.
Doch lest selbst:
Schon als wir das erste Mal auf Jamaika waren fielen uns die oft sehr bunt gestalteten Steinquader auf, die in ländlichen Gegenden sogar oft direkt in der Nähe von den Wohnhäusern stehen. Auf die Frage, was die Jamaikaner da in ihren Gärten stehen haben, antwortete unser Guide Donald: Das sind Gräber. Mittlerweile wissen wir auch, dass diese Art, die geliebten Dahingeschiedenen zu bestatten nicht nur aufgrund Ermangelung von erreichbaren Friedhöfen erfolgt. Bereits die afrikanischen Sklaven, so wurde uns bei einer Tour im Seville Greathouse erzählt, begruben ihre Toten sogar direkt im Boden der Hütten, in denen sie lebten, damit die Ahnen sie so beschützen sollten. Wahrscheinlicher ist, dass die Sklaven keine andere Möglichkeit sahen, ihre Verstorbenen würdig unter die Erde zu bringen. Die meisten Plantagenbesitzer sahen Sklaven als Vieh, sie durften nicht getauft werden, nicht heiraten und sicher auch nicht feierlich begraben werden.
Möbelrücken gegen böse Geister
Die Rituale nach dem Tod eines Menschen sind auf Jamaika ein Mix aus christlichen und afrikanischen Traditionen und im Wesentlichen mehr eine lebhafte Feier des Lebens als die Form der Trauer, die wir hier so kennen. Musik spielt auch nach dem Ableben eines Jamaikaners eine grosse Rolle, sie begleitet die Trauergemeinschaft ebenso durch die Nine Nights als auch das eigentliche Begräbnis. Viele Jamaikaner glauben, dass nach dem Tod zwei Seelen den Körper verlassen, von denen eine nach Afrika fliegt. Die andere aber muss besänftigt werden, denn sie kann noch neun Nächte lang den Lebenden Böses antun. Die Nine Nights bezeichnen die Zeit zwischen dem Tod und der Beerdigung eines geliebten Menschen und können sich heutzutage bis zu zwei Monaten hinziehen. Der Leichnam wird zum Zwecke der Konservierung solange einbalsamiert. Vorher jedoch wird der Körper von nahen Verwandten gewaschen, das Wasser wird dabei aufgefangen und später mit ins Grab gegossen.
Es wird angenommen, dass der Geist des Verstorbenen in der Nähe des Todesortes bleibt. Es werden darum Spiegel umgedreht, damit Reflexionen des sogenannten «Duppy» auf lebende Personen keine weiteren Todesfälle zur Folge haben können, Möbel werden umgestellt, der Raum mit neuen Palmbesen ausgekehrt und die Matratze wird umgedreht. Man legt den Leichnam auch verkehrt herum ins Bett. Das alles nur, damit der böse Teil der Seele des Verstorbenen verwirrt wird und der Duppy den Raum nicht erkennt, der ihn oder sie dazu bringen würde, zu bleiben, anstatt ins Jenseits zu reisen. Das Totenbett kommt später, wenn ein Beerdigungsinstitut den Leichnam abgeholt hat, für drei Tage in den Hof.
Let’s party!
Während dieser Zeit versammeln sich Familie und Freunde im und am Haus des Verstorbenen um ihm ihren Respekt zu erweisen. Sie bringen Essen mit und Rum, und das Leben des Verstorbenen wird mit Musik, Gesang und Tanz gefeiert. Auf Jamaika wird es zwar beizeiten dunkel, in dem Fall ist aber festgelegt, wann die Nacht beginnt: um 20 Uhr und sie dauert bis in die frühen Morgenstunden. Verschiedene spirituelle Tänze werden dargeboten, im Osten Jamaikas wird dabei meist der Dinki- Mini getanzt, im Westen eher der Gerreh. Es wird gebetet, gesungen und Musik gespielt. Dies alles soll mithelfen, den Geistern der Vorfahren des Verstorbenen zu helfen, dessen Duppy zur Ruhe zu bringen. Früher wurde in der Neunten Nacht für den Duppy ein Tier geschlachtet, es wurde ein Tisch mit Speisen und Getränken für ihn eingerichtet, aber niemand durfte bis Mitternacht von diesem Tisch essen oder trinken. Wenn nach Mitternacht dann klar ist, dass es der Duppy endlich von dieser Welt geschafft hat, trinken die Männer stark gesüssten Kaffee und die Frauen und Kinder Kakao.
Heutzutage laufen die Rituale um die Nine Nights ein wenig anders ab, wie uns eine gute Freundin zu erzählen wusste:
«… es war so, dass am neunten Tag des Todes eines Menschen ein Tier getötet wird, das gekocht wird, um es den Besuchern zu servieren. Auch gibt’s jede Menge weissen Rum. Es wird einen Tisch geben, an dem eine Person Verse aus einem christlichen Liederbuch liest und die anderen Gäste die Worte singend wiederholen Aber vor der neunten Nacht versammeln sich die Personen bei den Verstorbenen, die Spiele spielen, Dominos. In der Regel wird die Person jederzeit begraben. Heutzutage, egal wie lange es dauert, bis eine Familie ihre geliebten Menschen begraben hat, nennen wir es „Singen“, das in der Nacht vor der Beerdigung stattfindet, selbst wenn es einen oder zwei Monate dauert. Beim «Singen» gibt es eine Live-Band mit einer Leadsängerin, es wird viel getanzt und es gibt jede Menge zu essen: Suppe, Sandwiches, gebratenen Fisch mit Brot. Das geht bis morgens weiter.»
Bestatter auf Jamaika- «Under» – oder «Overtaker» ???
Am Tag nach der Neunten Nacht findet die Beerdigung statt, die je nach Religionszugehörigkeit ein wenig anders abläuft. Jamaika hat übrigens die meisten Kirchen pro Quadratkilometer auf der Welt und auf dieser kleinen Insel existieren 40 Religionsgemeinschaften friedlich nebeneinander. Zumeist wird der Verstorbene in einer Kirche aufgebahrt, wo die Angehörigen, Freunde und Nachbarn noch einmal von ihm Abschied nehmen können. Es wird natürlich gebetet und weder gesungen, es werden Reden gehalten über den geliebten Dahingeschiedenen und auch die Geistlichkeit sagt ein paar passende Worte. Dann wird der Sarg geschlossen und auf den ausgewählten Friedhof überführt. Was dann dort passiert, beschreibt unsere Freundin so:
«Wir begraben sechs Fuß unter der Erde. Manche Menschen verbrennen ihre Lieben und halten die Asche oder verstreuen sie im Meer. Wenn die Familie viel Land hat, begraben sie auf dem Familiengrund sechs Fuß oder in einem Grab über dem Boden.»
Die oberirdisch angelegten Grabstätten sind natürlich auffälliger. Darin sind die Särge sind in einer Art Steinsarkophage untergebracht, also eingemauert. Je nachdem sind sie auch recht fantasievoll verziert mit Bildern des Verstorbenen, bunten Ornamenten. Sogar ein Fantasieschloss haben wir im Vorbeifahren schon gesehen und manchmal sieht man auch Gruften.
Sogar Mausoleen gibt es auf Jamaika. Wir kennen zwei – das von Bob Marley in Nine Miles, wo er der Legende nach mit seiner roten Gibson Les Paul, einem Fussball und einem Spliff als Grabbeigabe beigesetzt wurde. Ausserdem ist auch das Grab von Peter Tosh in Belmont monumental angelegt. Beide kann man übrigens besuchen. Ob sich das lohnt, das weiss man erst, wenn man mal dort war. Wir besuchen Bob Marley jedes Mal, wenn wir nach Jamaika reisen.