Mauretanien: Das Glück ist mit den Unerschrockenen

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Die Oase von Terjit mit einer traditionellen Khaima. Foto Sabine Küster-Reeck

Eine „Winterreise“ in die Islamische Republik Mauretanien

Ein Gastbeitrag von Sabine Küster-Reeck.

Mauretanien ist etwas für Entdecker/innen, die Unbequemlichkeiten nicht fürchten. Weitab vom Massentourismus führt die Reise in eine der abgelegensten Regionen der Erde. Vom tosenden Atlantik ins Innere eines riesigen Landes, 1. Mio. Quadratkilometer Wüste und viel spannende Geschichte.

„Mauretanien? Wo liegt das denn?“

„Willst Du unbedingt gekidnappt werden? Was um Himmels Willen hast Du denn als Frau in einer Islamischen Republik zu suchen?“

Soweit nur ein Auszug der Kommentare von Freunden und der Familie, als ich von meinen Reiseplänen über Weihnachten und Neujahr berichte. Nicht Bali, nicht die Kanaren. Nein! Das Ziel ist: Die Islamische Republik Mauretanien. Dort arbeitet mein Mann in einem Entwicklungsprojekt und wir wollen gemeinsam mit seinem mauretanischen Kollegen die Wüste bereisen, historische Stätten besuchen und natürlich die Schönheit der westlichen Sahara bestaunen. Was mich daran reizt ist sicherlich die relative Abgeschiedenheit des riesigen Landes und seine wenig bekannte Kultur und Geschichte. Ein „Winterurlaub“ also, sehr weit weg von den touristischen Highlights, noch dazu in eine Islamische Republik. Aber wie wusste schon Alexander von Humboldt: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.“

Paris

Flughafen Charles de Gaulle am 19. Dezember. Eigentlich soll der Flieger pünktlich starten. Ich freue mich sehr auf die Reise, Flugangst hin- oder her. Es zeigt sich aber, dass ich mit meiner Angst bis zum Start wohl noch ein bisschen länger kämpfen muss, denn der Start der Maschine verschiebt sich immer weiter nach hinten. Das Warten zieht sich zwei lange Stunden hin, aber die Zeit wird mir verkürzt, denn es geht lebhaft zu an Bord! Die meisten der Reisenden kommen aus dem westafrikanischen Guinea und wollen nach Conakry, der Hauptstadt. Viele sind im „Weihnachtsurlaub“ und haben bereits mit ihren Kindern eine sehr lange Reise aus den USA hinter sich, wo die meisten von ihnen leben und arbeiten. Ich betrachte mit Freude die Kinder und die eleganten, üppigen und schönen Frauen, die in glänzende Gewänder gehüllt versuchen, mit mehr oder weniger Erfolg ihre von der langen Reise aufgekratzten Kinder zu beruhigen. Die Stimmung an Bord ist gut, man steht im Gang, plaudert miteinander und lacht. Dann knackt und rauscht es und die sonore Stimme des Piloten verkündet den baldigen Start!

Zwischenfall im Wüstenflughafen

Etwa sechs Stunden dauert der Flug und führt über die Straße von Gibraltar, entlang der westafrikanischen Küste. Wir landen am Spätnachmittag in der tristen Einöde nördlich von Nouakchott, der Hauptstadt Mauretaniens. Die Zeitumstellung beträgt zur Winterzeit eine Stunde. Als ich den Flieger verlasse, werde ich von der Hitze fast erschlagen. Obendrein rennen nun alle Passagiere los, um rasch eine „Carte d‘Immigration“, das Einreiseformular zu ergattern. Nachdem dieses Formular ausgefüllt ist, muss man weiter in ein winziges, stickiges Kabuff, wo ein freundlicher Mann stolz mit seiner Digitalkamera ein Porträt-Foto schießt und dieses gemeinsam mit dem Visum in den Reisepass klebt.

Nun sollten die Formalitäten eigentlich erledigt sein. Wäre mir nicht ein dummer Fehler in der Hektik unterlaufen! Ein bisschen naiv habe ich unter der Rubrik „Profession“ den Beruf „Journalist“ angegeben. Das kommt nicht gut an! Der erste Zollbeamte blickt irritiert, geht mit meinem Formular zu seinem Vorgesetzten, der mit einer Kalaschnikow auf dem Schoß, sehr finster drein schaut und mich weiterschickt in einen fensterlosen Raum, in dem ich vor Zigarettenqualm kaum noch etwas erkennen kann.

Dieser wird verursacht von zwei uniformierten Männern, die nach maurischer Sitte lang ausgestreckt auf dem Fußboden liegen und rauchen, was das Zeug hält. Einer von ihnen winkt mich herrisch zu sich heran und verlangt eine Erklärung. Keine Frage, Angehörige der von mir angegebenen Berufsgattung sind hier offensichtlich nicht wohl gelitten, haben doch vor einiger Zeit Journalisten in Mauretanien aufgedeckt, dass hier durchaus noch die Sklaverei existiert.

So stammle ich also mit treuherzigem Blick etwas davon, dass ich „Journalist“ nur als Hobby angegeben hätte, ich sei eigentlich „Femme de menage“ (Hausfrau) und wolle nur Freunde besuchen! En toute sincérité! Ganz ehrlich! Ein weiterer sehr strenger Blick in meine Richtung und nicht nur die äußere Hitze lässt mich gewaltig schwitzen! Dann aber wedelt er endlich hoheitsvoll und gönnerhaft mit seiner schlanken Hand, die immer noch die Zigarette hält. Zu meiner unendlichen Erleichterung zeigt die Geste in Richtung Ausgang- und nicht in die Arrestzelle! Ich kritzele also noch schnell die „Hausfrau“ ins Formular und mache dann, dass ich zum Ausgang eile! Während mir ein veritabler Granitbrocken vom Herzen fällt, mache ich mich auf in die Hitze der Wüste und auf den Weg in die Stadt Nouakchott.

Der Platz des Windes

Der Name der Hauptstadt Mauretaniens bedeutet: „Der Platz des Windes“ und kommt nicht von ungefähr. Die in den 1960ér Jahren nach Ende der französischen Kolonialzeit aus dem Boden gestampfte Wüstenstadt liegt direkt am Atlantischen Ozean. Am Ende der Kolonialzeit wurde die Stadt 1958 an Stelle eines Fischerdorfes errichtet, um eine Hauptstadt für das unabhängig werdende Land zu errichten. In den 1960ér Jahren lag die Zahl der Einwohner noch im vierstelligen Bereich. Durch Landflucht ist inzwischen die Einwohnerzahl auf geschätzte 1.116.000 gestiegen. So genau aber weiß das niemand. Amtssprache ist Arabisch, Französisch wird aber als Geschäftssprache weitestgehend akzeptiert und gesprochen.

Nouakchott ist – ganz ehrlich – keine architektonische Perle. Niedrige Bauten aus Lehm dominieren das Stadtbild. Selten hat ein Haus mehr als 2 Stockwerke. Durchbrochen wird das Bild in den „besseren“ Gegenden der Stadt durch eine höhere Stahl-und Glasarchitektur, die willkürlich wirkt. Für uns Europäer unvorstellbar: Es gibt kein Katasteramt! Jeder kann sich irgendwo ein Fundament errichten und sozusagen seinen „Claim“ abstecken. Nach dem Motto: „Hier stehe ich, hier will ich sein!“ . Und überall wird gebaut, sogar bis an den Rand der wunderschönen, roten Sanddünen am Rande der Stadt. Oft aber steht dann alles leer. Grün gibt es kaum. Dattelpalmen säumen einige Straßen, vielleicht noch die unverwüstlichen Akazien, die mit dem salzhaltigen und trockenen Boden zurecht kommen, da sie sehr lange Wurzeln haben. Gut gewässerte Bougainvillea fallen in üppiger, bunter Pracht über die Mauern der Villen, in denen die Gutbetuchten leben. Sie sind der einzige Farbklecks inmitten der alles dominierenden Ockerfarben und des Wüstenstaubes, der die Stadt oft in eine surreale Atmosphäre taucht.

Wie gut, dass vor dem Aufbruch in die Wüste genügend Zeit bleibt, sich an Hitze, Staub und Moskitos zu gewöhnen, und an den chaotischen Straßenverkehr in Nouakchott. Wir bewegen uns mit einem 25 Jahre alten Toyota-Geländewagen durch das hektische Gewusel. Einem röhrenden, hochbeinigen Ungetüm das unverwüstlich zu sein scheint. Kaum gelingt es mir mit meinen knappen 1.60 m, ohne Leiter in dieses Monster hineinzukommen. Einmal aber drin, fühlt man sich sogleich wie in Abrahams Schoß! Sicher, bequem und erhaben sitzt man! Fahrzeuge in allen Stadien des Verfalles beherrschen den Straßenverkehr in Nouakchott! Die Mercedes-Dichte ist bemerkenswert – wenn denn rostige Wracks auf vier schlingernden Rädern noch dieser Marke zugeordnet werden können.

Es fehlen Stoßdämpfer, Scheiben, Blinker sowieso. Scheinwerfer? Nicht nötig! Und wozu braucht man schon Blinker? Geht doch auch so! Man hält eben die Hand aus der nicht mehr vorhandenen Tür. Abgerissene Türen und Heckklappen machen das Vehikel zu einem Schrotthaufen, den der ordnungsliebende Europäer fassungslos betrachtet. Diese Autos werden vor allem vom guten Willen ihrer Besitzer, sowie einiger rostiger Schrauben zusammengehalten. Wir sind in Afrika, also drängeln sich bis zu zehn Menschen in diesen Transportmitteln. Wo kein Platz ist, wird eben Platz gemacht! Dies ist eine afrikanische Devise, aus dem tiefem Pragmatismus geboren, dass eben jeder noch ein Plätzchen im fahrbaren Untersatz ergattern kann, wenn er nur schnell genug ist. Jede Rostlaube ist immer noch besser, als bei 40 Grad im Schatten zu Fuß zu gehen.

Ein braver, deutscher TÜV-Meister würde sicherlich umgehend beim Anblick dieser Fahrzeuge eine Nervenkrise erleiden und seinen Job an den Nagel hängen. Denn hier gibt es nichts mehr zu prüfen! „La chance sourit aux audacieux“. Das Glück ist mit den Unerschrockenen, und das gilt erst recht für´s Autofahren in Mauretanien!

Kulturelles und Kulinarisches

Früh am nächsten Morgen fahren wir zunächst ins Büro, wo mein Mann und sein mauretanischer Kollege Monsieur Emanetoullah gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Ich erfahre später mehr darüber, muss aber vorerst viele Hände schütteln und noch mehr ziemlich starken Tee mit Minze und noch mehr Zucker trinken. Dieser Tee ist das Nationalgetränk, so wie fast überall in den Ländern der Sahara. Man trinkt ihn während des ganzen Tages. Der Zuckergehalt aber ist bedenklich, ebenso wie in den überall erhältlichen Softdrinks. Nichts für Diabetiker.

Die Mauretanier sind umwerfend gastfreundlich! Bevor wir in die Wüste aufbrechen, sind wir eingeladen bei Monsieur und Madame EL Mokhtar. Sie sind die liebenswürdigen Vermieter meines Mannes und leben in einem weitläufigen, kühlen Haus gleich neben seiner Wohnung. Hier im Hinterhof ist es herrlich orientalisch. Die Pflanzen werden vom Mamadou, dem Hausfaktotum, gewässert. Er stammt aus Mali und arbeitet als einer der zahlreichen westafrikanischen Migranten hier in Mauretanien. Vermutlich nur gegen einen kargen Lohn und Unterkunft in einer kleinen Hütte. Dazu wird er ordentlich von Sara, der Haushälterin, herumkommandiert die mindestens alle halbe Stunde eine neue Aufgabe für den armen Kerl hat. „Dépêche-toi, bon à rien, tu as encore la cour à balayer“ (beeile dich, du Nichtsnutz, du musst noch den Hof fegen!) ruft sie diktatorisch aus der Küche.

Die Autorin wird nach maurischer Sitte dekoriert

Die Autorin wird nach maurischer Sitte dekoriert

Fein gemacht sind wir: Mein Mann im blauen Boubou, dem traditionellen Gewand der mauretanischen Männer; ich in einem weitem, bestickten Kleid mit langen Ärmeln. Wir streifen vor dem Betreten des Hauses unsere Schuhe ab und treten ein in einen mosaikgeschmückten Salon und werden ins geräumige Speise- und Wohnzimmer geführt. Hier ist auf einem niedrigen Tisch eingedeckt. Wir werden im Liegen, bez. im Schneidersitz essen. Madame EL Mokthar tritt ein. Eine beeindruckende Dame, groß gewachsen, strahlt sie eine natürliche Würde aus. Sie ist wunderschön gekleidet in die „Malafa“. Die traditionellen Frauenkleider Mauretaniens sind von großer Farbfröhlichkeit, egal ob es sich um die klassische Malafa oder westafrikanische Kleider handelt. Die Malafa ist ein großes rechteckiges Tuch, welches kunstvoll um den Körper gewickelt wird und den Kopf bedeckt. Das Gesicht aber bleibt unverhüllt. Madame spricht zu meiner Erleichterung recht gut englisch, denn leider ist es um mein Französisch nicht so gut bestellt und oft muss daher mein Mann für mich dolmetschen. Wir lassen uns nieder und dann betritt auch Monsieur EL Mokthar den Raum.

Ein ebenfalls groß gewachsener, eleganter Bankdirektor, in seinem indigoblauen Boubou. Bald kommt das Essen. Zunächst werden Datteln auf einem großen, flachen Teller als „Amuse Geul“ gereicht. Danach folgt Cous-Cous mit reichlich Lammfleisch. Man ißt mit den Fingern. Das Cous-Cous wird gemeinsam mit dem Fleisch zu einer Art Ball geformt und dann verspeist. Für den Europäer etwas gewöhnungsbedürftig. Dennoch: Es schmeckt köstlich! Als Nachspeise gibt es Joghurt und Obst. Alkohol ist in Mauretanien strengstens verboten, statt dessen trinken wir „Juis de Gingembre“, einen Ingwersaft so scharf, dass einem kurzfristig der Atem stockt. Unverzichtbar als Abschluss: Der gezuckerte Tee. Besorgt erkundigen sich unsere Gastgeber, ob wir denn auch genug gegessen hätten? Soweit es mich betrifft, beschließe ich insgeheim für die nächsten Tage eine Fastenkur.

Bereit für die Wüste

Früh am Morgen steht Monsieur Emanetulla vor unserer Tür, mit einem erfreulich neuen Geländefahrzeug, wie ich zu meiner Erleichterung feststelle. Ich hülle mich in meine Schama, einen an den Rändern bestickten Baumwollumhang aus Äthiopien, der mir auf der Reise in die Hitze und den Staub noch gute Dienste leisten soll! Denn dieser Stoff schützt vor Hitze ebenso, wie vor der morgendlichen Kühle. Ein bisschen Proviant hat noch nicht geschadet und so halten wir an einem Supermarkt, in dem es erstaunlicherweise sogar Produkte aus dem deutschen Einzelhandel gibt. Hautpflegeprodukte nämlich einer bekannten, deutschen Drogeriekette!

Der Teint soll ja nicht leiden und so erwerbe ich einige Töpfchen Crème, auch um sie ggf. als Geschenke zu verwenden. Frauen lieben diesen kleinen Luxus, einerlei aus welcher Kultur sie stammen. Solchermaßen vorbereitet, erwartet uns eine lange Fahrt durch 600 km Wüste, zunächst bis in die Stadt Atar. Es ist beruhigend, ein komfortables Auto mit Klimaanlage zur Verfügung zu haben! In den 1930ér Jahren hingegen hat eine sehr mutige Frau, die Bretonin Odette du Puigaudeau, diese Reise mit einem Kamel gemacht und genügsam mit den Nomaden in der Wüste gelebt. In ihrem faszinierenden Reisebericht „Barfuss durch Mauretanien“ hat sie ihre Erfahrungen festgehalten! Sie reiste gemeinsam mit ihrer Freundin Marion Sénones durch den ganzen „Sudan“. Dies ist ein älterer Begriff für den Sahel (arabisch für „Ufer“), der das ganze Gebiet vom Atlantik bis zum Roten Meer umfasst. „Bilad as Sudan“ bedeutet: Die Länder der Schwarzen. Odette du Puigaudeau kam nie von der Wüste los. Sie starb 1991 in Rabat, Marokko.

Bis wir die Stadt Nouakchott endlich hinter uns gelassen haben, vergeht eine gute Stunde. Dann sind wir in der Wüste! Wunderschöne Dünen in allen Ockertönen und rotem Sand. Die einzige Vegetation besteht aus einigen Akazien und Wolfsmilchgewächsen, sowie kleinen Kürbissen, die aber für den Menschen ungenießbar sind und nur von Kamelen und Ziegen gefressen werden. Erstere gibt es in großer Anzahl. Hin-und wieder erblickt man in weiter Ferne und flirrender Hitze einen Kamelreiter, der seine Tiere im Auge behält und sie zusammentreibt, wenn sie zu weit auseinanderlaufen. Kamele sind aber Herdentiere, sie entfernen sich selten sehr weit von ihren Artgenossen.

Erfrischung für unterwegs

Erfrischung für unterwegs

Der Geruch des Staubes ist süßlich und nicht unangenehm. In der Kombination mit der Hitze, fast ein bisschen wie ein Joint. Mitunter tauchen auch Oasen auf. Hohe Dattelpalmen stehen in Senken, wo von der letzten Regenzeit noch Wasser übrig geblieben ist. Wie Monsieur Emanetoullah berichtet, war die letzte Regenzeit ungewöhnlich ergiebig. Die Palmen tragen daher viele Früchte.

Mit der Tageszeit nimmt die Hitze zu. Wir gönnen uns eine kurze Mittagspause. Emanetoullah kocht unter der schützenden Heckklappe des Autos den Tee. Der Wind ist anstrengend. Heiss und zehrend. Stille um uns. Ich laufe ein bisschen hinein in diese unwirtliche Landschaft, die doch umso faszinierender ist, als dass der Mensch nicht abgelenkt wird von Geräuschen, Telefonen, Musik – all dem Gedöns der westlichen Wohlstandsgesellschaften, das uns ja so unverzichtbar erscheint. Nirgends ist man so sehr mit sich selbst konfrontiert wie in der Wüste.

Einzig unschöner Aspekt: Nicht nur an Meeresgestaden findet sich unfassbar viel angeschwemmter Plastikmüll. Auch hier, mitten in der Wüstenlandschaft, die so unberührbar und abgeschieden erscheint, liegen immer wieder Halden von Plastik, der auch hier in diesem Klima hunderte von Jahren brauchen wird, um zu zerfallen. Plastikflaschen, Dosen, Tragetaschen (dabei hat Mauretanien inzwischen Plastiktüten verboten) , alles Mögliche als Indiz dafür, dass auch hier die Konsumgesellschaft Einzug gehalten hat. Ein Gefühl der Trauer überkommt mich, dass auch hier der Mensch, die noch vor kurzem unberührte Natur verschandelt, ohne Rücksicht auf die wertvolle Flora und Fauna.

Atar

Wir erreichen die lebhafte, kleine Stadt nach 500 km, durchgeschwitzt und müde. Unser Fahrer fragt sich durch zu unserem kleinen Hotel „Etoile du Nord.“ Es ist ein noch neues Gebäude und zur allgemeinen Verwunderung wird der geräumige Innenhof gerade gewienert und geschrubbt bis er glänzt. Dann werden reich bestickte Teppiche und Kissen ausgelegt. Man könnte meinen, der Präsident Mauretaniens habe sein Erscheinen angekündigt. Es ist dann aber „nur“ der französische Botschafter, der kurz nach uns mit seiner Entourage, zwei bewaffnete Bodyguards eingeschlossen; im Hotel erscheint. Offenbar reist er auf der gleichen Route wie wir.

Wir besichtigen unsere Zimmer. Die sind sehr klein, aber immerhin: Es gibt eine Dusche! Das ist der Luxus schlecht hin! Wäre nicht das schlechte Gewissen über die Wasserknappheit, man könnte Stunden unter dem kühlenden Nass verbringen! Wer Probleme mit Klaustrophobie hat, für den ist die maurisch, arabische Bauweise eher nicht geeignet. Die Zimmer sind klein und recht dunkel. Es gibt zwar ein Fensterchen. Gleich hinter diesem befindet sich direkt eine hohe Mauer, die man nicht überblicken kann. So soll die schlimmste Hitze des Tages ausgesperrt bleiben.

Später essen wir in einem etwas schmuddeligen kleinen Lokal Nudeln und Huhn. Eine junge Frau tut ihr bestes, uns satt zu bekommen. Es gelingt ihr, während ihr kleiner Sohn munter um uns herumtollt und dabei mit seinem kleinen, quietschenden Dreirad öfters mal über unsere Füße rollt. Keiner nimmt´s übel. Bei unserer Rückkehr ins Hotel ist auch der Botschafter offenbar bereits schlafen gegangen. Seine muskulösen, wackeren Leibwächter sitzen auf der Dachterrasse des kleinen Hotels und wachen somit auch über unseren Schlaf.

Im Morgengrauen stehen wir auf, trinken schnell einen Kaffee und essen ein Croissant, bevor wir uns mit dem Schuldirektor Taleb und dem Schriftsteller Beyrouk treffen. Beide sind gute Freunde von Monsieur Emanetoullah. Man hat gemeinsam studiert und nun ist Monsieur Beyrouk sogar als Berater für den Präsidenten Mauretaniens tätig.

In Begleitung der Herren fahren wir nun hinaus aus Atar und gelangen zu beeindruckenden Ruinen. Sie sind die Überbleibsel einer Festung der Almoraviden, einer Kriegergemeinschaft, die sich als Sanhadscha bezeichneten und den Islam maßgeblich in Mauretanien etablierten. Dabei lerne ich neben historisch interessanten Fakten auch ein wahres Wunder aus der Pflanzenwelt kennen: Den Moringabaum, in Deutschland auch Meerrettichbaum genannt. Nicht nur, dass die Samen dieser Pflanze an die 20 Mal mehr Vitamin C als jede Citrusfrucht enthalten. Was den Baum definitiv zu etwas ganz Besonderem macht, ist die Fähigkeit, der zu Pulver zerriebenen Samen, verschmutztes Trinkwasser zu reinigen. Das Pulver bindet im Wasser enthaltene Schwebstoffe und Bakterien und sinkt mit ihnen zu Boden – zurück bleibt sauberes, trinkbares Wasser.

Herrlich kühles, trinkbares Wasser gibt es in der schattigen Oase von Terjit, wenige Kilometer entfernt.

Die Oase von Terjit mit einer traditionellen Khaima

Die Oase von Terjit mit einer traditionellen Khaima

Dort gibt es ein Erholungsressort unter hohen Dattelpalmen. Es ist wie in einem Hollywood-Film! Wir lassen uns in einer schönen Khaima, dem typischen Nomadenzelt der Mauren zum Essen nieder. Es gibt: Cous-Cous mit Lamm. Meine geplagten Knie meutern etwas bei dem ungewohnten Sitzen in der Hocke oder im Schneidersitz, aber ich will nicht unhöflich erscheinen und unterdrücke den Schmerz. Nach dem Essen und dem Tee, unternehmen wir dann eine kleine Wanderung in die Oase hinein. Es ist ein Felsüberhang, der Schatten spendet und dessen Wände von Moosen und Flechten überzogen sind. Darunter fließt glasklares Wasser, das man auch trinken kann. Die Luft ist kühl und duftet angenehm nach Jasmin. Die zahlreichen, alten Dattelpalmen spenden uns Schatten. Es ist ein kleines Paradies! Aber alles paradiesische hat ein Ende. Da die Rückfahrt nach Atar lang sein wird und wir sehr früh am kommenden Morgen unsere Reise nach Chinguetti fortsetzten wollen, brechen wir auf.

Über die Berge nach Chinguetti

Früh am Morgen werden wir geweckt durch die Aktivitäten des abreisenden Botschafters nebenan. Auch er will offenbar aufbrechen. Monsieur Emanetoullah erwartet uns bereits etwas ungeduldig und fährt uns in ein Café, wo wir uns noch kurz mit süßen Rosinenbrötchen stärken, bevor wir durch die Berge mit dem Ziel Chinguetti losfahren. Atar ist umgeben von beeindruckenden Bergen, die jedoch nicht höher werden als 800 Meter über dem Meeresspiegel. Einzigartig ist jedoch die Geologie! Hier gibt es Stromatolithe.

Stromatolithe zeugen von der Entstehungsgeschichte der Erde

Stromatolithe zeugen von der Entstehungsgeschichte der Erde

Es sind Versteinerungen aus dem Präkambrium. Sie sind ca. 1 Milliarde Jahre alt. Wunderschöne bläulichgraue bis kupferrote Steine, die aus Kalkstein und Dolomit bestehen und kreisförmige Muster aufweisen. Sie sind vermutlich entstanden durch Kalk-ausscheidende Cyanobakterien die auf dem Meeresboden in rasenartigen Kolonien lebten. Präkambrisch also, lange bevor ein mehrzelliges, skelettbildendes Leben überhaupt entstand. Die gebirgige Landschaft wechselt nun in eine felsige Hochfläche an deren Ende die Stadt Chinguetti liegt.

Die alte Wüstenstadt Chinguetti wurde bereits im 13. Jahrhundert gegründet und gilt als 7. heiligste Stadt des Islam. Sie zählte damals bereits 20.000 Einwohner und 11 Moscheen, deren wunderschöne, geschnitzte Türen 6 bis 700 Jahre alt sind. Der Name bedeutet „Brunnen der Pferde“ und erklärt die Bedeutung Chinguettis als wichtige Karawanen- und Handelsstadt in der westlichen Sahara. Sie war zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert das kulturelle und religiöse Zentrum der gesamten Region.
Später wurde Chinguetti Zentrum für die Unabhängigkeitskämpfer gegen die französische Kolonialmacht. Der alte Ortskern war lange Zeit komplett unter dem Sand der Sahara begraben. Er wurde mit EU-Geldern wieder ausgegraben. Heute zählt die Stadt zum UNESCO- Weltkulturerbe.

Chinguetti - einst fast vom Sand begraben, nun UNESCO-Welterbe

Chinguetti – einst fast vom Sand begraben, nun UNESCO-Welterbe

Nachdem wir unsere Auberge „La Gueila“ gefunden haben, erkunden wir ein wenig die Stadt.
Der erste Weg führt uns zum beeindruckenden Museum von Al Ahmed Mahmoud. Der alte Herr führt mit großem Engagement seit vielen Jahren sein privates Museum. Wir lassen uns im lichtdurchfluteten Innenhof nieder und hören seinen spannenden Ausführungen zu. Er will uns dann, im kühlen Innenraum die gedruckten Schätze vorführen, die er sorgsam hegt und pflegt. Uralte islamische Bücher, die vor mehreren hundert Jahren verfasst wurden. Al Ahmed beklagt den Umstand, dass seine Regierung nichts unternähme, um diese Kostbarkeiten angemessen zu schützen und zu bewahren. Auch durch die UNESCO sei bisher leider keinerlei Unterstützung erfolgt. So ist er auf Spenden von Touristen und Gläubigen angewiesen, um seine Schätze zu bewahren.

Auberge la Gueila

Auberge la Gueila

Als wir durch den schmalen Ausgang hinaus in die Hitze kommen, warten auf der Straße zahlreiche Schmuckverkäuferinnen auf uns. Eine nach der anderen stellt sich als „Laila“ vor. Die „Laila- Inflation“ kesselt mich ein, so dass ich kaum noch Luft bekomme. Ich werde angestrahlt und mir wird versichert, wie schön ich sei; aber noch viel schöner wäre ich mit diversen Ketten und Armbändern, mit denen die Lailas mich mich ungefragt behängen bis ich mir vorkomme wie der viel-bemühte Weihnachtsbaum. Es müssen so an die 20 Frauen sein, die sich um mich drängeln und so langsam bekomme ich Atemnot. Ganz gerne würde ich mir den Schmuck in Ruhe angucken, aber die Frauen wollen ja alle was verkaufen. So feilsche ich quasi aus Notwehr um zwei Halsketten. Nun aber geht der Tumult um mich herum erst richtig los. Schlussendlich ist es unser Fahrer, der mich mithilfe seiner männlichen Autorität aus der Menschenmenge befreit.

Zurück im Auto beschließen wir, in die berühmten Sand-Dünen von Chinguetti zu fahren. Ein Abenteuer! Roter Sand, wohin das Auge blickt und einige Male denke ich, wir fahren uns fest in dem tiefen Sand. Aber unser Fahrer fährt wie der Teufel! Es ist ein wildes Geschaukel, aber sichtlich macht ihm das einen Riesenspaß. Meine Bandscheiben hingegen rufen deutlich nach Erbarmen, aber wie soll ich das dem begeisterten Emanetoullah nur vermitteln? Schließlich ist er der Chauffeur und genießt den Ausflug sichtlich. Dann aber ruft ihn das Gebet, er hält und rollt seinen Gebets-Teppich aus. Für uns ist es eine angenehme Pause im Schatten einer wunderschönen, alten Akazie. Meditative Stille! Nichts, kein Geräusch stört die Ruhe um uns. Und dann, eine Fata Morgana? Im Flimmern der Hitze tauchen in der Ferne Kamele auf. Je näher sie kommen, um so mehr kann man erkennen, wie prächtig geschmückt die Tiere sind. Auf einem Kamel sitzt elegant und lässig ein junger Mann.

Ein Hirte, der auf seine kostbaren Tiere Acht gibt. Wir bieten ihm Tee an, den er gerne annimmt. Dann meint er, es könne nicht schaden, wenn wir ein wenig auf seinem Kamel ritten. Gesagt, getan. Auf geht es in luftige Höhen und das ist wörtlich zu nehmen, denn so ein ausgewachsenes Tier hat eine Risthöhe von 2,5 Metern. Das Kamel lässt sich also auf Kommando seines Herren nieder. Es brüllt. Ich steige in den Sattel. Das Kamel soll aufstehen. Es brüllt. Kamele brüllen aus Prinzip hat man den Eindruck. Angestrengt versuche ich nun also hoch oben das Gleichgewicht zu halten, während sich das würdevolle Tier zunächst auf seine vorderen Knie stützt, um dann die Hinterbeine ganz zu erheben. Dies bewirkt, dass der Reiter zunächst grob nach vorne gekippt wird, und dann, wenn das Tier seine Vorderbeine ganz aufgestellt hat, mit einem ebensolchen Ruck nach hinten geschleudert wird. Und wieder meutern meine Bandscheiben! Islamische Republik hin-und her, ich schlage ein Kreuz, als ich endlich vom Wüstenschiff absteigen darf. Jetzt brauche ich einen Tee. Der Hirte und seine Kamele ziehen weiter.

Der Hunger beginnt uns zu plagen und so steigen wir in unser „Wüstenschiff“ auf vier Rädern ein, um uns in die Auberge „La Gueila“ zu begeben. Die wunderschöne Herberge in Chinguetti wird vom Ehepaar Sidi Khattry und Sylvette Cerisey geführt. Die Entwürfe für das Gebäude und die Inneneinrichtung stammen von Odette du Puigaudeau. Wir lassen uns zu einem Begrüßungstrunk im kühlen Atrium nieder, das von einer riesigen Dattelpalme überwachsen ist. Der Drink ist natürlich alkoholfrei. Bald kommt das Abendessen und wir sind begeistert über die köstliche Mischung aus maurischer Üppigkeit und französischer Raffinesse. Aber ehrlich gesagt: Ein kühles Gläschen Weißwein hätte das wunderbare Essen doch noch mehr veredelt. Dann ziehen wir uns für die Nachtruhe in unsere winzigen Zimmerchen zurück. Das einzige Geräusch während der Nacht kommt von den riesigen Flughunden, die auf nächtlichen Beutezug gehen. Nach Sonnenaufgang wollen wir aufbrechen, um uns in der Umgebung von Chinguetti noch Felszeichnungen anzusehen, bevor die lange Reise zurück nach Nouakchott beginnt.

L´Oceanide- Erholung am Atlantischen Ozean

Wir sind erschöpft von der langen und staubigen Rückfahrt, aber erfüllt von all den Erlebnissen in der Wüste. Wer hat schon noch die Gelegenheit, solch versteckte Winkel der Erde zu erkunden. Liebend gerne würde ich noch bleiben, um zum Beispiel in ein Naturschutzgebiet am Senegalfluss zu fahren. Jedoch nahen der Jahreswechsel- und somit meine baldige Abreise. Für Silvester beschließen wir die Nacht am Atlantik in einer Khaima, dem mauretanischen Nomandenzelt, zu verbringen. Das Zelt befindet sich direkt am Plage de Sultan, einem wie es scheint endlosen Sandstrand. Hier gibt es auch das L´Oceanide, ein zauberhaftes kleines Strand-Lokal, in dem es knackfrische Fischgerichte gibt. Das kalte Wasser des Atlantik ist sehr nährstoffreich, daher ist ist das Meer entlang der mauretanischen Küste auch sehr reich an Meerestieren.

Nach dem Diner ziehen wir uns in unser Zelt zurück. Geschlafen wird auf ausgerollten Teppichen auf dem Sand. Besser, man stellt sich gar nicht erst vor, was darunter alles so kreucht und fleucht. Zum Jahreswechsel dann, köpfen wir eine heimlich besorgte Flasche Wein. Die zahlreichen wilden Hunde, die um unser Zelt lagern und die unsere Aktivitäten interessiert beobachten, können ja zum Glück nichts ausplaudern. Sie lagern ganz dicht an unserem Zelt, als hätten sie beschlossen, uns in der Nacht zu bewachen.Geschlafen habe ich nicht viel in dieser Nacht, allein schon wegen der tosenden Brandung des Ozeans. Früh am nächsten Morgen gibt es ein Petit Dejeuner im L´Oceanide und mit einer langen Strandwanderung nehme ich Abschied von Mauretanien.

Es war großartig. Ich komme wieder.

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