Indien anno 1982: Kaschmir – Sommerfrische der Moguln und „ein wahres Paradies auf Erden“
Translation with GoogleIndien: Kaschmir – akklimatisieren in paradiesischer Landschaft für den Aufstieg zum Himalaya
Moghul-Kaiser Jahangir:
„Wenn es einen Himmel auf Erden gibt, so ist er hier, so ist er hier!“
Ich sollte wohl doch ein wenig ausholen. Nicht jedem Leser ist klar, wie man einen Kontakt zu einer völlig fremden Person, sagen wir mal, von Deutschland an die indisch-pakistanische Grenze, erstens anfängt und zweitens über Jahre aufrecht erhält. Und das in Zeiten, in denen die heute übliche Kontaktanbahnung über das WWW und Email und/oder die (A-) sozialen Medien noch ein feuchter Traum von Menschen in der sogenannten EDV (spöttisch „elektrische Datumsverwirrung“) war. Ich spreche und schreibe von 1982, als diese Reise nach Nordindien und hinauf in den Himalaya stattfand, und den Jahren zuvor, die es brauchte, um diese Reise zu ersinnen.
Was war es, das einem jungen Menschen half, Kontakt von der schwäbischen Provinz nach Srinagar aufzunehmen? War es der (Amateur-) Funk, der damals schon alle Erdteile verband? Nein. Es war eher der einseitige Funk, nicht der zweiseitige. Ich saß stundenlang vor dem Kurzwellen-Radio und versuchte, dem Krächzen, Fauchen, Rauschen und Gepiepse aus dem Lautsprecher – Hörgenuss geht anders – mit Hilfe der „Kurzwellen-Lupe“ (ob Google weiß, was das gewesen ist?) Sinn und Inhalt zu entnehmen. Da waren Radio Peking, All India Radio, der australische Rundfunk, Radio Sweden und nicht zuletzt Radio Budapest. Alle diese Sender bekamen Empfangsberichte in Form von Karten, sogenannten QSL-Karten. Damit konnten sie einschätzen, wie ihre Sendungen in aller Welt empfangen wurden und ihre Sender und Antennen entsprechend justieren. Apropos Kurzwelle: Jahre später saß ich oft abends am Pool und hörte in Pretoria die Deutsche Welle, die über den Sender in Kigali, Ruanda, ins südliche Afrika weitergesendet wurde.
Der Kurzwellen-Hörer bekam auch etwas zurück. Ansteckknadeln, Landkarten und vieles mehr. Doch für diesen Bericht wichtig ist, dass Radio Budapest monatlich ein Club-Bulletin verschickte. Ob in englisch oder gar in deutsch, das vermag ich heute nicht mehr zu sagen, aber wichtig war die letzte Seite in diesem A5-Heftchen: Die Brieffreunde-Abteilung.
Und so las ich von einem jungen Kaschmiri mit Namen Showkat, der auf diesem Wege einen Brieffreund suchte. Mein Brief blieb nicht unbeantwortet, und so querten etliche Luftpostbriefe die Kontinente. Im Zeitalter der lichtgeschwindten Informationsübermittlung scheint es kaum verständlich, wie man auf diese höchst analoge Weise über so viele Jahr in Kontakt bleiben konnte, aber es klappte.
Dies war auch der Grund, dass ich meinem Kumpel und dessen Freundin vorschlug, mit mir den weiten Weg nach Kaschmir anzutreten, und von dort aus sogar noch weiter zu fahren, nach Ladakh, das man nicht ohne Grund „Little Tibet“ nannte, wie Du später noch lesen wirst.
München – Damaskus – Sharja – Delhi
Meine beiden Freunde sitzen nun auf dem Fußboden des Airports von Damaskus, wo unsere Maschine von Syrian Arab Airlines (1.470 DM – das sind umgerechnet 752€ – für München-Delhi-München) einen Zwischenstopp macht, und laben uns an einem Glas „Lion Milk“. Puh, das brennt vielleicht. Der Arrak, ein Anisgetränk, hat nicht zum letzten Mal meine Kehle angeätzt. Wenn man Wasser in den Arrak schüttet, wird aus dem Schnaps ein Longdrink und färbt die durchsichtige Flüssigkeit opaque, also ähnlich wie Milch: „Löwenmilch“ halt. Macht vermeintlich stark wie ein Löwe – aber mit zunehmendem Trinken lächerlich/lachhaft wie eine Hyäne.
Dann wird zum Weiterflug aufgerufen, und wir verlassen den harten Fußboden der Warthalle. In Sharjah (Schardscha) am damals touristisch noch unerschlossenen Persischen Golf, wird ein Tankstopp eingelegt und nach kurzes Zeit Kurs auf Delhi genommen.
Dort ist erst mal Schluss mit dem lustigen Fliegen. Zwar haben wir Tickets für den Weiterflug nach Srinagar, der Hauptstadt von Kaschmir, in der Tasche. Doch alles Wedeln, zunächst mit den Tickets, dann mit dem Pass, in dem später sogar Geldscheine als Lohn der Sitzplatzvermittlung winken, hilft nichts: Sowohl üblich als uns völlig unbekannt ist der Brauch, Flugzeuge der Indian Airlines vielfach zu überbuchen. Also einen Sitzplatz mit 3 Popöchen zu besetzen.
Was im Endeffekt nur einem Passagier und seinem Podex hilft, von A nach B zu kommen. Die anderen können stundenlang mit ihren Tickets winken – sie müssen unten bleiben. Und sich anderweitig umsehen, das Reiseziel zu erreichen.
So geschieht es: Nach einem Tipp und einer schweißnassen Suchaktion (wir haben Monsun – und das ist keine Krankheit!) sitzen wir in einem klapprigen Bus, dessen Getriebe schon bessere Tage gesehen hat. Von New Delhi eiern wir über verstopfte Straßen nach Alt Delhi und von da nach Norden.
Delhi
Irgendwo auf der Strecke fotografiere ich noch ein interessantes Schild. Meiner späteren Recherche zufolge gibt es den hier erwähnten Doktor noch – 36 Jahre später. Ein wahres Traditionsunternehmen.
Wie es scheint, haben Inder wie überall in der Welt Probleme mit der Virilität. Wenn es dabei geblieben wäre, könnte die Bevölkerung von Indien noch schön unter 1 Milliarde sein. Tja, und da gibt es Dr. Sharma und seine Kollegen. Diese tun ihr Bestes, Indien nach Kräften zu unterstützen, bevölkerungstechnisch seinen Nachbarn China bald zu überflügeln.
Nach einem rattenscharfen Essen, das als Reisspeise mit gelber Soße ganz harmlos herüberkommt, dann aber den Gaumen (10 x schlimmer als Arrak) verätzt, kommen wir nach Mitternacht in Srinagar an.
Srinagar: Wovon sogar die Moguln schwärmen
Nachts um 2 hat mein Brieffreund keine Lust oder Möglichkeit, uns vom Busbahnhof abzuholen, also schlafen wir in einer Sammelunterkunft auf dem Fußboden. Als junger Mensch wohl die gängige Art der Übernachtung. Die Abende der vierwöchigen Reise, so wird es sich herausstellen, habe ich des öfteren auf dem Fußboden in Morpheus Armen verbracht.
Am nächsten Tag dann treffen wir meinen Brieffreund, der in der Wohnung seiner Eltern für uns 3 keinen Platz hat. Er vermittelt uns eine Schlafstatt auf einem Hausboot: In Srinagar eine gängige und leidlich romantische Art und Weise für Touristen zu übernachten.
Warum Hausboot? In Kaschmir war es verboten, dass Ausländer Grundbesitz erwarben. Deshalb tricksten englische Kolonialisten das Gesetz aus und bauten Hausboote. Darauf ließ sich die heiße Sommerzeit im Tiefland vermeiden und das angenehmere Klima Kaschmirs genießen. Mit einer Shikara, einem überdachten Boot (der Venezianer würde „Gondel“ sagen), setzen wir über und beziehen unseren Wohnraum. Wir werden aber die nächsten Tage hauptsächlich auf dem Dach des Hausbootes übernachten. Auf der Isomatte auf dem Fußboden, wo sonst.
Über der Seidenweberei der Eltern meines Freundes bin ich eines Abends eingeladen, dem gemeinsamen Abendmahl beizuwohnen. Auf den kahlen, blitzsauberen Boden des Zimmers wird ein rundes Tuch ausgelegt. Dann kommt der Jüngste der Familie mit einer Schale, Seife, einer Wasserkaraffe und einem Handtuch herein, damit jeder der Teilnehmer des Mahls seine Schmutzgriffel aufs Feinste säubere.
Wir setzen uns hin – die Einheimischen im praktischen Schneidersitz, meine Wenigkeit etwas ungelenk in ähnlicher, wenn auch nicht gleicher Form – auf den Boden, versteht sich. Eine Schüssel Reis kommt in die Mitte, dann wird nacheinander Fleisch und Gemüse aufgetragen. Die linke Hand bleibt links vom Körper, während die Finger der rechten, der guten Hand, Reis und Zutaten zu Happen und Bällchen formen. Dann wird die rechte Hand verdreht, der Mittelfinger an der Unterlippe angelegt, mit den restlichen Fingern eine Rinne gebildet, während der Daumen die Speise in den Schlund befördert. Nach einer Weile habe ich es heraus.
Warum die linke Hand nicht mitmachen darf? Das hat mit der Religion zu tun. Muslime, und mein Brieffreund gehört dazu, lassen der linken Hand die Sache mit der Toilette, während die rechte Hand fürs Essen gerade gut genug ist.
Mein Problem ist nun, dass das scharfe Essen wie üblich die Nase ins Laufen gebracht hat. Mit der rechten Hand komme ich nicht an mein Taschentuch in der rechten Tasche. Nicht, weil ich rechts nicht so gut greifen kann, sondern weil die rechte Hand über und über mit Reis und Soße bedeckt ist. Will ich etwa jetzt schon meine blitzsaubere Bundeswehrhose einsauen? Also versuche – und schaffe – ich, mit der linken Hand das Taschentuch aus meiner Hosentasche zu ziehen und mein Riechorgan zu reinigen. Ah, das tut gut.
Wobei ich immer noch nicht recht weiß, ob es in diesem Kulturkreis erlaubt und geduldet ist, beim Essen ein Taschentuch mit Rotz zu füllen. In Asien scheint es, so hört und liest man, durchaus verpönt zu sein, sein Riechorgan in ein Taschentuch zu erleichtern. Stattdessen sollte man, um nicht anzuecken, den Rotz hochziehen und bei nächster Gelegenheit irgendwo abzuwerfen. Bloß ist das hier halt nicht gegeben, und ich habe womöglich einen schlimmen Fauxpas begangen. Was mir in dem Moment eher unwichtig erscheint.
Die Familie ist mir auch nicht gram. Ich darf sogar das Bett des Vaters, das am Rand des Zimmers steht, als meine Nachtstatt ansehen, während ein Teil der Familie auf dem Fußboden nächtigt, der andere Teil im Nebenraum.
Tags darauf holt mich die Rache des Pharaoh, oder der „running tommy“ oder der „Delhi-Belly„. Trotz Zähneputzens mit desinfiziertem Wasser (Kaliumpermanganat dabei), trotz Trinkens von Duty-Free-Jonny-Walker schon am frühen Morgen auf nüchternen Magen: Kumpel Alwin erwischt es genauso wie mich. Elisabeth scheint resistent. Gratulation! Wir Mannsbilder verbringen die nächsten Tage auf dem Locus oder zur Erholung auf dem Dach des Hausbootes. Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen:
Das Ver- und Entsorgungssystem des Hausbootes. Alles klar, alles verstanden. Moment, ich muss schon wieder laufen. Ja, eine ganze Menge Hausboote liegen dicht nebeneinander auf dem Dal-See. Geht der Bewohner des Hausbootes aufs Töpfchen, wird das, was durch die Toilette gespült wird, in einer Sickergrube im Boot aufgefangen. Quillt die über, wird der Hausboot-Bootjunge gerufen, der ein paar Kubikmeter Kläranlagen-technisch nicht unähnlichen Inhalts, nett vorgegoren, mit einem Eimer schöpft und ins klare Wasser des Dal-Sees leert. Die Seerosen und Lotusblüten gedeihen aber zu göttlich hier!
Den Bootsjungen stört es keineswegs, dass just zu diesem Zeitpunkt der Helfer des Bootes nebenan den Wassertank auf dem Dach seines Bootes mit Frischwasser füllt. Frischwasser in diesem Sinne bedeutet, dass das Seewasser dort hinauf gepumpt wird. Wie schon gesagt, es fällt mir wie Schuppen von den Augen: Jede Mahlzeit auf dem Boot wird mit dem Wasser aus dem Tank zubereitet, sei es Tee, oder das Frühstück. Lassen wir dieses Thema. Es wird mich etliche Tage Urlaubszeit und so manch unschöne Momente während der Reise kosten. Erst ein Jahr nach der Rückkehr aus Indien wird durch eine alternativmedizinische Methode meines Hausarztes meine ungewollte Abmagerungskur beendet sein und ich wieder zu Kräften kommen. Dabei werde ich noch Glück gehabt haben: Eine weitläufige Reisebekanntschaft wird es noch bis München schaffen, dort aber kläglich zugrunde gehen. Zu viel ungeahnte Viecher im Darm und den Organen. Indien als Last Destination. „Indien sehen und sterben“, so to say.
Too bad.
Beliebte Andenken: Lackierte Pappmaché-Döschen aus Kashmir in allen erdenkbaren Größen und Formen:
Die Gärten von Shalimar
Shalimar ist persisch und wird mit „Die reinste aller menschlichen Freuden“ übersetzt. Großmogul Jahangir soll so begeistert von der vollendeten Schöpfung der Gärten gewesen sein, dass er seiner Freude mit dem Ausruf
„Wenn es ein Paradies auf Erden gibt, dann ist es hier, hier, hier!“
Ausdruck verlieh. Ja, die Herrscher von damals hatten noch Stil – und Poesie. Und schlau waren die Herrscher seinerzeit sowieso: Jetzt herrscht gerade die Monsunzeit, kaum auszuhalten in Dehli. Feucht-warm – da zieht es einen doch lieber in größere Höhen, ans Wasser und in schattenspendende Gefilde – Srinagar liegt 1.560 Meter hoch. Der Tourist macht es dem Herrscher nach – er genießt die Shalimar Gardens.
Shalimar ist einer der Moghul-Gärten am Ostufer des Dal-Sees: Die beiden anderen sind Nishat Garten, der „Garten der Freude“ und Chasma Shai, die „kaiserliche Quelle“.
Ausflug mit der Shikara auf dem Dal- und Nagin-See
Bald ist mein Delhi-Belly einigermaßen wieder im Gleichgewicht und wir beschließen, die 2-Tages-Fahrt 430 km mit dem Bus-Konvoj in den Himalaya, nach Ladakh, anzutreten. Eigentlich war ja der Flieger vorgesehen, doch… man kennt ja nun seine Pappenheimer. Wir buchen schon einmal unseren Flug von Leh nach Amritsar, wo wir den goldenen Tempel der Sikhs besuchen wollen. Möglicherweise haben wir ja Glück und können wieder fliegen.
Wie es weiter geht, auf dem 2-Tages-Teufelsritt in höchst beengten Bussen in die Höhen des Himalaya, das liest Du hier:
Indien 1982: Von Kaschmir in den Himalaya. Mondlandschaft Ladakh
Zum Thema „Sicherheit“
Diese Reise fand Mitte 1982 statt. Sie wurde individuell mit eigener Planung als Rucksackreise durchgeführt. Heute, Januar 2020, gibt es immer wieder gute Gründe, Srinagar und Umgebung auszulassen.
Official Website of Jammu & Kashmir Tourism
Auswärtiges Amt zur Sicherheit in Kaschmir
Abfrage der Webite vom Januar 2021:
“
Von Reisen nach Jammu und Kaschmir wird dringend abgeraten….
….
Im Unionsterritorium Jammu und Kaschmir kommt es neben terroristischen Gewalttaten auch zu unvorhersehbaren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei bzw. der Armee. Die Aufhebung des Sonderstatus für Jammu und Kaschmir am 5. August 2019 hat die Sicherheitssituation weiter verschärft. Es finden auch verstärkt bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen indischen und pakistanischen Truppen wie auch mit verschiedenen Separatistengruppen entlang der internationalen Grenze und der Waffenstillstandslinie (LoC) statt.“
Buchtipps*
Nelles Guide Reiseführer Indien – Der Norden
Ladakh plus: Reise- und Kulturführer über Ladakh und die angrenzenden Himalaja-Regionen
Ladakh Broschiert – April 1995 von Heinrich Harrer (Antiquariat)
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