Wer nachhaltig reisen möchte, muss recherchieren lieben
Translation with GoogleTourismusforscher Wolfgang Günther gibt Tipps für den nachhaltigen Urlaub und erklärt, warum Flüge nicht per se gestrichen werden müssen
Mit der Bahn statt mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, weniger Fleisch essen oder regional einkaufen: Im Alltag handeln immer mehr Menschen im Sinne der Nachhaltigkeit. Auch beim Reisen gewinnt das Umweltbewusstsein stetig an Bedeutung. Das ist auch auf der CMT, der weltweit größten Publikumsmesse für Tourismus und Freizeit, sichtbar. Wolfgang Günther kennt sich mit nachhaltigem Reisen aus: Er setzt nicht nur im privaten Urlaub auf Bus und Bahn sowie umweltbewusste Unterkünfte, sondern ist auch Leiter des Bereichs „Nachhaltigkeit im Tourismus“ beim unabhängigen Tourismusforschungsinstitut NIT (New Insights for Tourism) mit Sitz in Kiel.
In vielen Bereichen versuchen die Deutschen, bereits nachhaltiger zu leben. Wie sieht es mit dem Reisen aus?
Im Moment wollen rund 60 Prozent der Bevölkerung umwelt- oder sozialverträglich reisen. Tatsächlich war Nachhaltigkeit aber nur bei vier Prozent am Ende tatsächlich ausschlaggebend bei der Reiseentscheidung. Für viele Menschen ist der Urlaub eben das Sahnehäubchen im Jahr. Bei der Entscheidung, wohin die Reise geht, spielen immer viele unterschiedliche Faktoren eine Rolle, wie etwa Empfehlungen aus ihrem Umfeld oder auch schöne Bilder in den Medien.
Und dann rückt die Nachhaltigkeit schnell in den Hintergrund?
Genau. Nehmen wir ein Beispiel: Angenommen, Sie wollen wandern in den Alpen und haben von Freunden gehört, dass es dort einen besonders schönen Ort gibt, der sich für Ausflüge eignet. Ihnen ist es wichtig, dass sich das Hotel für Umweltschutz engagiert, es nicht zu teuer und modern eingerichtet ist. Außerdem wollen Sie mit der Bahn anreisen. Bei der Recherche merken Sie aber, dass das einzige Hotel mit Nachhaltigkeitssiegel viel zu teuer ist und der Ort über keinen Bahnhof verfügt. Also fahren Sie dann doch mit dem Auto in eine attraktive Unterkunft, die bezahlbar, aber nicht zertifiziert ist.
Wir haben viel über nachhaltiges Reisen gesprochen. Was versteht man konkret darunter?
Wichtige Aspekte für Nachhaltigkeit beim Reisen sind beispielsweise eine klimafreundliche An- und Abreise sowie umweltfreundliche Mobilität am Reiseziel. Die Wahl einer Unterkunft mit erkennbarer Nachhaltigkeitsorientierung (z.B. entsprechend zertifiziert) und die Bevorzugung von regionalen Produkten vor Ort tragen auch zur Nachhaltigkeit im Urlaub bei. Ebenso wichtig ist es, Aktivitäten bewusst und überlegt mit Rücksicht auf Natur und Klima zu wählen und – sofern möglich – auf faire Behandlung und Bezahlung von Mitarbeitenden in Hotels, Restaurants usw. zu achten.
Wie müsste ich bei der nachhaltigen Reiseplanung vorgehen?
Schritt eins: Welche Region oder welcher Ort der zu meinen Urlaubswünschen passt ist gut klimafreundlich erreichbar?
Schritt zwei: Gibt es dort Unterkünfte, die auf Nachhaltigkeit achten?
Schritt drei: Kann ich von dort aus, wenn ich möchte, Ausflüge zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV machen?
Das klingt eigentlich einfach, doch die entsprechenden Angebote zu finden, ist zum Teil schwer. Wer nachhaltig reisen möchte, muss recherchieren lieben.
Wie kann man Menschen dazu animieren, nachhaltiger zu reisen?
Wir müssen mehr Reiseangebote konzipieren und entwickeln, die innerhalb der planetaren Grenzen bleiben, nachhaltig sind, aber auch Spaß machen sowie attraktiv und leicht zu finden sind. Außerdem müssen wir den Menschen Lust auf nachhaltiges Reisen machen. Marketing-Organisationen spielen hier eine große Rolle, aber auch Tourismus- und Reisebüros. Sie können vermehrt auf das Angebot entsprechender Reisen aufmerksam machen. Die LCC Reisebüro AG hat z. B. vor kurzem als neue Handelsmarke das „Grüne Reisebüro“ ins Leben gerufen. Im Angebot sollen sich ausschließlich Veranstalter und Hotels befinden, die sich durch ressourcenschonendes und sozialverträgliches Handeln auszeichnen.
Jetzt Hand aufs Herz: Wie umweltschädlich sind Flugreisen generell?
Man darf den Tourismus nicht darauf reduzieren, dass er böse ist, weil er mit Mobilität verbunden ist. Bei jeder Reise müssen eben Distanzen überwunden werden und damit wird bisher in der Regel eben CO2 ausgestoßen. Eine aktuelle Studie der Travel Foundation besagt, dass wenn wir bis 2050 klimaneutral sein wollen, Flugreisen nicht unbedingt gestrichen werden müssen. Der Engpass ist hier der Treibstoff auf Grundlage erneuerbarer Energien. Besonders Fernreisen mit hohem Gesamtverbrauch sind ein Problem, solange entsprechende Treibstoffe knapp sind. Kürzere Distanzen werden eher gehen. Entscheidend ist, dass es gelingt, die Mobilität auf Grundlage erneuerbarer Energien zu erreichen. Das geht zur Zeit am besten mit der Bahn. Und wenn man auf Reisen in die Ferne nicht verzichten kann, dann ist es besser, einmal eine große Reise zu machen, anstatt immer wieder ins Flugzeug zu steigen. Die Summe der Distanzen zählt.
Inwieweit können Reisende ihre CO2-Emissionen kompensieren?
Es gibt verschiedene Portale, bei denen man sich ausrechnen lassen kann, welcher CO2-Fußabdruck mit der Reise verbunden war und wie viel Geld als Ausgleich bezahlt werden muss. Das Geld wird in Klimaschutzprojekte investiert, die CO2-Emissonen im gleichen Umfang einsparen sollen. Die Idee vom Kompensieren ist schlüssig, auch wenn sie keine Lösung für den gesamten Verkehr sein kann und nur dann genutzt werden sollte, wenn Vermeiden von Emissionen nicht möglich ist. Trotzdem machen es bisher nur sehr wenige Menschen, wenn auch mit steigender Tendenz. Zwischen 2018 und 2019 haben nur zwei Prozent unserer Befragten angegeben, dass sie ihre Urlaubsreise kompensieren. In der letzten Befragung von 2022 waren es schon fünf Prozent.
Wie können Messen wie die CMT dazu beitragen, dass das Bewusstsein für nachhaltiges Reisen steigt?
Messen sind Informationsquellen, die Menschen nutzen, um sich über Reisen zu informieren. Sie nehmen aber auch Einfluss darauf, welche Bilder in den Köpfen der Menschen und welche Sehnsüchte entstehen. Das heißt, Messeveranstalter wie auch Austeller können Einfluss darauf nehmen, wie stark das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus rückt.
Und eine letzte Frage: Wohin gehen die Urlaube im Hause Günther?
Wir fliegen tatsächlich privat gar nicht mehr. Das Schöne ist, in Europa kommt man ziemlich gut mit der Bahn überall hin. Wir suchen unsere Reiseziele deshalb auch immer so aus, dass wir mit dem Zug fahren können. Von Kiel aus gibt es zum Beispiel eine wunderbare Verbindung nach Skandinavien. Aber auch in die Provence komme ich von Kiel mit einmal Umsteigen an einem Tag.
Zur Person:
Wolfgang Günther studierte Biologie mit Studienschwerpunkt Ökologie an der Christian-Alberts-Universität in Köln. In der Vergangenheit leitete er das Projekt Meeresschutz Schleswig-Holstein beim BUND, arbeitete als Dozent und fachlicher Leiter eines Umweltbildungszentrums an der Ostsee und baute anschließend für den Tourismusverband Schleswig-Holstein eine Beratungsstelle für Tourismus und Umwelt auf. Seit 1999 ist er Teil des NIT, einem unabhängigen Forschungsinstitut für Fragen des Tourismus, seit 2007 ist er Leiter des Bereichs „Nachhaltigkeit im Tourismus“ beim NIT.
Die Urlaubsmessen der Messe Stuttgart und die Nachhaltigkeit
Die Messe Stuttgart ist Veranstalterin der CMT in Stuttgart, der Touristik & Caravaning in Leipzig und der REISEN & CARAVANING in Hamburg. Sie gilt in vielen Bereichen als Vorreiterin für Umwelt- und Klimastandards in der europäischen Messebranche. So war sie zum Beispiel die erste deutsche Messegesellschaft, die als klimaneutraler Messestandort zertifiziert wurde. Außerdem veröffentlicht die Messe regelmäßig eigene Nachhaltigkeitsberichte. Auch im Rahmen der Urlaubsmessen spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle: So wurden im Rahmen der CMT 2023 beispielsweise nachhaltige Reiseziele von der gemeinnützigen Organisation TourCert ausgezeichnet. Überdies verlieh der Corps Touristique, die Vertretung der ausländischen Fremdenverkehrsämtern in Deutschland, den Award zur Völkerverständigung „Über Grenzen gehen“. Zudem finden im Rahmen der drei Urlaubsmessen immer wieder Events und Tagungen statt, die sich mit Umweltbewusstsein befassen, wie zum Beispiel eine Diskussionsveranstaltung des Deutschen Tourismusverbandes zum Thema Nachhaltigszertifizierungen.